08 - Ehrenschuld
griff, und daß er weiche Knie hatte, als man ihn hinausführte. Das ganze Ritual war durchgeführt worden, und Oleg Juriewitsch erinnerte sich, wie verwundert er war, als er tatsächlich wieder seine Zelle im Keller erreichte, wo man ihm sagte, er solle seine Habseligkeiten packen und einem Wärter folgen, der ihn, zu seinem wachsenden Erstaunen, ins Büro des Kommandanten zurückbrachte, wo er auf jemanden traf, der nach seinem Lächeln und seinem maßgeschneiderten Anzug nur ein Amerikaner sein konnte und keine Ahnung hatte von dem seltsamen Abschied, den der KGB seinem verräterischen Offizier gab.
»Ich hätte mir in die Hose gemacht«, meinte Ding, den der Ausgang der
Geschichte schaudern machte.
»In der Beziehung hatte ich Glück«, gab Ljalin lächelnd zu. »Ich hatte
gerade uriniert, als sie mich abholten. Meine Familie erwartete mich in
Scheremetjewo. Es war einer der letzten PanAm-Flüge.«
»Auf dem Flug haben Sie sich sicher anständig besoffen, was?« fragte
Clark lächelnd.
»O ja«, versicherte Oleg, wobei er nicht erwähnte, wie er gezittert und auf dem langen Flug zum JFK International Airport gekotzt hatte und wie er darauf bestanden hatte, mit dem Taxi durch New York zu fahren, um sich
zu vergewissern, daß er wirklich in Freiheit war.
Chavez schenkte seinem Sprachlehrer nach. Ljalin versuchte, von
scharfen Getränken herunterzukommen, und begnügte sich mit Coors Light.
»Ich hab' schon einige mulmige Situationen erlebt, aber die muß wirklich
ungemütlich gewesen sein, Towarischtsch.«
»Ich bin ja auch ausgestiegen, wie Sie sehen. Domingo Estebanowitsch,
wo haben Sie so gut Russisch gelernt?«
»Der Bursche hat wirklich ein Talent dafür, nicht wahr?« bemerkte
Clark. »Besonders für den Slang.«
»Hey, ich lese viel, ist das klar? Und wenn ich in der Zentrale eine
russische Fernsehsendung erwische, zieh' ich mir sie rein. What's the big
deal?« Der letzte Satz entschlüpfte ihm auf englisch. Auf russisch konnte er
es nicht so schön ausdrücken.
»Das Tolle daran ist, daß du wirklich begabt bist, mein junger Freund«,
sagte Major Ljalin und hob sein Glas.
Chavez mußte das Kompliment anerkennen. Er hatte noch nicht einmal
einen High-School-Abschluß gehabt, als er sich in die U.S. Army
eingeschlichen hatte, wo man ihn vor allem aufgenommen hatte, weil er
versprach, kein Raketentechniker werden zu wollen, und es erfüllte ihn in
der Tat mit Stolz, daß er seinen nächsten akademischen Grad im
Schnellgang an der George Mason University erworben hatte und für den
Magister nur noch die Arbeit vorlegen mußte. Er staunte über das Glück,
das er gehabt hatte, und fragte sich, wie viele aus seinem barrio es wohl
auch geschafft hätten, wenn ihnen das Glück ebenso hold gewesen wäre. »Dann weiß Mrs. Foley, daß Sie ein Netz hinterlassen haben?« »Ja, aber es scheint, daß alle ihre Leute, die Japanisch können, anderswo
sind. Ich glaube nicht, daß sie versucht haben, es zu reaktivieren, ohne mich
zu informieren. Außerdem werden die Leute nur aktiv, wenn man das
richtige Stichwort nennt.«
»Jesus«, flüsterte Clark, auch auf englisch, denn man flucht nur in seiner
Muttersprache. Das hatte man nun davon, daß die Agency den Einsatz von
menschlichen Agenten vernachlässigte zugunsten des Elektronikscheiß, der
nützlich war, aber nicht das ein und alles, das die Papierkrieger in ihm
sahen. Von den insgesamt über fünfzehntausend Mitarbeitern der CIA waren rund vierhundertfünfzig Einsatzagenten, die tatsächlich draußen auf der Straße waren, mit Leuten sprachen und herauszukriegen versuchten, was sie dachten, statt von Satelliten aus Bohnen zu zählen und den Rest aus der Zeitung zu entnehmen. »Wissen Sie, ich frage mich manchmal, wie wir
überhaupt den verdammten Krieg gewonnen haben.«
»Amerika hat sich große Mühe gegeben, ihn nicht zu gewinnen, aber die
Sowjetunion hat sich noch mehr Mühe gegeben.« Ljalin hielt inne. »Bei THISTLE ging es hauptsächlich um die Beschaffung von
Wirtschaftsinformationen. Wir haben den Japanern viele industrielle
Konstruktionen und Verfahren gestohlen, aber Ihr Land setzt den
Geheimdienst ja nicht für diesen Zweck ein.« Wieder unterbrach er sich.
»Dabei muß man jedoch eines bedenken.«
»Und das wäre, Oleg?« fragte Chavez, während er wieder eine Coors
aufmachte und sie dem ehemaligen KGB-Major reichte. Er trank wirklich
eine Menge von dem Zeug.
»Die Unterscheidung ist künstlich, Domingo. Monatelang habe ich das
Ihren Leuten klarzumachen
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