08 - Ehrenschuld
näherte.
Sie wurden von dem Nebel völlig überrascht. Denton hatte richtig vermutet. Nora Dunn hatte ihren sechzehnten Geburtstag genau acht Tage hinter sich, hatte ihren vorläufigen Führerschein vor exakt drei Tagen gemacht und mit ihrem sportlichen neuen C99 gerade achtundsiebzig Kilometer zurückgelegt. Zunächst hatte sie sich ein schönes, breites Stück Straße ausgesucht, um auszuprobieren, wie schnell er fuhr, weil sie jung war und ihre Freundin Amy Rice darum gebeten hatte. Während der CD-Player mit voller Lautstärke lief und sie sich über verschiedene Schulkameraden unterhielten, achtete Nora eigentlich kaum auf die Straße, denn es war ja gar nicht schwer, ein Auto zwischen der durchgezogenen Linie auf der rechten und der unterbrochenen auf der linken Seite zu halten, und außerdem war im Spiegel keiner zu sehen, auf den man achtgeben mußte, und selbst ein Auto zu haben war viel besser als ein Treffen mit einem neuen Jungen, weil die Jungs aus irgendeinem Grund glaubten, sie müßten auf jeden Fall immer fahren, als ob eine erwachsene Frau nicht selbst mit einem Auto umgehen könnte.
Eine gewisse Verblüffung zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab, als die Sicht auf einmal nicht mehr weit reichte - Nora konnte die Entfernung nicht genau einschätzen -, und sie nahm den Fuß vom Gaspedal, so daß sich die Fahrt, die vorher hundertfünfunddreißig Stundenkilometer betragen hatte, verlangsamte. Hinter ihr war die Straße frei gewesen, und vor ihr würde sie es bestimmt auch sein. Ihre Fahrlehrer hatten ihr alles gesagt, was sie wissen mußte, aber es war wie mit den Stunden all ihrer übrigen Lehrer: Manches hatte sie aufgenommen und manches nicht. Die wichtigen Lehren würden mit der Erfahrung kommen. Doch Erfahrung war ein Lehrer, mit dem sie noch nicht recht Bekanntschaft gemacht hatte und dessen Notengebung für den Augenblick viel zu streng war.
Sie sah die Positionslichter des Fruehauf-Anhängers sehr wohl, aber sie kannte sich mit der Straße nicht aus, und die bernsteingelben Flecken konnten ja ebensogut Straßenlaternen sein, nur daß es die an den meisten Bundesstraßen nicht gab, was sie nicht wußte, weil sie noch nicht genug Fahrpraxis hatte. Ohnehin hätte das ihre Reaktionszeit nur um eine knappe Sekunde verlängert. Als sie den grauen, rechteckigen Schatten erkannte, war es einfach zu spät, und sie fuhr immer noch hundert Sachen. Da das Zuggespann dreißig fuhr, lief es ungefähr darauf hinaus, mit siebzig Stundenkilometern auf ein stationäres Objekt zu prallen.
Es war immer ein gräßliches Geräusch. Will Snyder kannte es schon, und es erinnerte ihn daran, wie eine Wagenladung Bierdosen in einer Schrottpresse zermalmt wurde - das entschieden mißtönende Krachen eines Autorumpfes, der zermalmt wurde von Geschwindigkeit und Masse und physikalischen Gesetzen, die er nicht in der Schule gelernt hatte, sondern durch Erfahrung.
Der Aufprall auf die linke hintere Ecke des Anhängers ließ das zwölf Meter lange Gespann nach rechts schleudern, doch zum Glück fuhr er langsam und hatte so viel Kontrolle, daß er rasch zum Stehen kam. Er schaute zurück und sah die Überreste dieses hübschen neuen japanischen Autos, das sein Bruder sich kaufen wollte, und Snyders erster unüberlegter Gedanke war, daß sie einfach viel zu klein waren, um sicher zu sein, als ob das unter diesen Umständen eine Rolle gespielt hätte. Der vordere Teil war in der Mitte und auf der rechten Seite zerfetzt, und der Rahmen war unübersehbar verzogen. Ein flüchtiger erster und ein weiterer Blick zeigten Rot, wo eigentlich klares Glas sein sollte ...
»O mein Gott.«
Amy Rice war schon tot, obwohl der Airbag auf der Beifahrerseite einwandfrei funktioniert hatte. Die Aufprallgeschwindigkeit hatte den Wagen auf ihrer Seite unter den Anhänger geschoben, und der robuste hintere Puffer, dessen Zweck es war, eine Beschädigung von Laderampen zu verhindern, hatte die Karosserie wie eine Kettensäge aufgerissen. Nora Dunn lebte noch, war aber bewußtlos. Ihr neuer Cresta C99 war bereits ein Totalschaden, der Aluminiummotorblock aufgerissen, der Rahmen um vierzig Zentimeter verzogen, und was das schlimmste war: Der Benzintank, der bereits durch Korrosion beschädigt war, war zwischen Rahmenteilen gequetscht worden und lief aus.
Snyder sah das auslaufende Benzin. Er hatte den Motor nicht abgestellt, lenkte seinen Lastzug rasch auf das Bankett und sprang mit seinem hellroten Trockenlöscher heraus. Daß er es nicht ganz
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