08 - Old Surehand II
Er fand niemand. Da aber hörte er von der Seite her einen klagenden Ton. Er ging der Richtung des Tones nach und fand Eduard, der sich halb aufgerichtet hatte und die Hände auf die Gegend des Herzens drückte.
„Ihr seid es?“ fragte er erschrocken, da er ihn trotz der Dunkelheit erkannte.
„Ja, Señor Shatterhand“, antwortete Eduard leise.
„Seid Ihr getroffen?“
„Ja.“
„Wo?“
„Ins Herz, grad ins Herz.“
Das Sprechen fiel ihm schwer; der Atem fehlte ihm!
„Ins Herz? Das ist nicht möglich!“ sagte Old Shatterhand. „Wenn man Euch ins Herz getroffen hättet, wärt Ihr tot. Bleibt still! Ich werde Euch untersuchen.“
Er öffnete ihm den Rock, die Weste, das Hemd – keine Spur von Blut, von einer Wunde! Er suchte weiter, kam an die Brusttasche, befühlte diese und erklärte dann erfreut:
„Gott sei Dank! Ihr habt in dieser Tasche den großen Beutel mit Nuggets, welche die Kugel aufgefangen haben. Hier fühle ich das kleine Loch im Tuch. Der Schuß hat Euch umgeworfen und den Atem genommen; aber die Kugel ist in den Nuggets steckengeblieben. Wohnt nicht der Arzt, Euer Rivale, da in der Mission?“
„Ja.“
„Zu dem werde ich Euch bringen oder tragen. Er wird Euch – – –“
„Um Gottes willen, nein!“
„Warum nicht?“
„Der ist es ja, der auf mich geschossen hat!“
„Ah! War er am Bahnhof?“
„Ja.“
„War es der Mann, mit dem Ihr von dort gegangen seid? Und wie heißt er? Oder vielmehr, wie heißt er jetzt?“
„White, Doktor White.“
„Ein Doktor, ein Arzt! Welch verschiedene Karrieren dieser Schurke doch schon eingeschlagen hat; es soll aber seine letzte sein. Dieses Mal werde ich ihm das Handwerk legen, und zwar für immer!“
„Kennt Ihr ihn denn?“
„Nur zu gut! Aber das ist jetzt Nebensache. Hauptsache ist, wie Ihr Euch befindet.“
„Es ist mir leichter; ich habe wieder Atem.“
„Und schmerzt die Brust?“
„Nicht sehr.“
„So wollen wir versuchen, ob Ihr gehen könnt. Stützt Euch auf mich!“
Der Versuch gelang; es ging ganz langsam, aber doch. Unterwegs erzählte Eduard das Gespräch, welches er mit White hatte. In der Nähe der Mission angekommen, mußte er sich seitwärts an einer versteckten Stelle niedersetzen. Old Shatterhand ließ sich die Wohnung und das Hospital beschreiben und ging dann in das Haus, um White aufzusuchen. Die Wohnung war verschlossen; da stieg er die schlecht erleuchteten Treppen bis zum Bodenraum hinauf, dessen Tür er öffnete, ohne anzuklopfen. Da standen die Betten der Patienten, und an einem kleinen Tischchen saß der Assistent. Dieser stand auf, nicht wenig erstaunt über den späten Besuch. Und als er gar denselben genauer betrachtete und die zwei Gewehre sah, die Old Shatterhand auf der Schulter hängen hatte, und das Messer, die Revolver, welche in seinem Gürtel steckten, da wollte er beinahe erschrecken.
„Wer seid Ihr? Was wollt Ihr hier?“ fragte er.
„Ich suche Doktor White.“
„Der ist nicht hier.“
„Wo sonst?“
„Er wird unten bei Señor Werner sein.“
„Und wer seid Ihr?“
„Ich heiße Gromann und bin der Assistent.“
„So kommt einmal her, Mr. Gromann; ich muß Euer Gesicht sehen!“
Er zog ihn zum Licht, betrachtete ihn und sagte, indem seine ernsten, ja strengen Züge einen milden Ausdruck annahmen:
„Ihr scheint kein Halunke zu sein.“
„Bin auch keiner, sondern stets ein ehrlicher Mensch gewesen. Wie aber kommt Ihr zu Eurem befremdlichen Verhalten und diesen sonderbaren Worten, Sir?“
„Das will ich Euch sagen. Ist Euch vielleicht der Name Old Shatterhand ein Begriff?“
„Ja.“
„Dieser Mann bin ich.“
„Was –? Wie –? Ihr seid Old Shatterhand?“
„Ja. Und habt Ihr vielleicht einmal den Namen Kanada-Bill gehört?“
„Auch.“
„Wißt Ihr, was dieser Kerl für ein Mensch ist?“
„Der größte Halunke weit und breit.“
„Wißt Ihr es genau?“
„Ja. Es kann niemand besser wissen, als ich, denn – denn – – – hm!“
„Was hm?“
„Es ist eigentlich ein Geheimnis; aber da Ihr Old Shatterhand seid, kann ich es Euch sagen. Ich bin nämlich jetzt Detektiv.“
„Geheimpolizist? Als Assistent dieses Doktor White?“
„Grad als dieser!“
„Ach! Ich beginne zu erraten! Da will ich Euch eine Bemerkung machen, die Euch wahrscheinlich außerordentlich interessieren wird. Euer sogenannter Doktor White ist nämlich der Kanada-Bill!“
„Zounds! Ist's wahr?“
„Wenn ich es sage, könnt Ihr es ruhig
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