08 - Old Surehand II
Monate sind vorbei, und Eduard ist noch nicht da. Ich erinnere Euch an Euer Wort und hoffe, daß Ihr es halten werdet.“
„Ich halte es“, antwortete Werner, „und gebe Euch meine Einwilligung, wenn Ihr mir beweist, daß Ihr wirklich so wohlhabend seid, wie Ihr gesagt habt.“
„Ich habe mich natürlich vorbereitet, diesen Beweis anzutreten. Hier seht Euch diese Papiere an! Die Summen, welche da verzeichnet sind, habe ich auf der Bank deponiert. Genügen sie Euch?“
Man hörte Papiere rascheln, und dann rief Werner aus:
„Señor Doktor, das ist ja viel, viel mehr, als ich erwarten konnte! Ihr seid ein reicher Mann!“
„Oh, ich könnte Euch beweisen, daß ich noch mehr habe; dies mag aber genügen. Und damit Ihr seht, was für einen aufmerksamen Gatten Eure Anitta an mir haben wird, will ich Euch diesen Schmuck zeigen, den ich ihr schon bei der Verlobung schenken werde. Es sind lauter Edelsteine.“
Man hörte Etuis öffnen und dann erklangen Werners Ausrufe des Erstaunens und der Bewunderung. Da trat Gromann an die Küchentür, welche ein wenig aufstand, und sah in das Zimmer. Kaum hatte er einen Blick hineingeworfen, so fuhr er zurück und flüsterte Old Shatterhand zu:
„Hört, Sir, ich habe jetzt, was ich brauche. Dieser Schmuck ist Mr. Cleveland gestohlen worden. Er gehörte seiner verstorbenen Frau und wurde nach ihrem Tod im Geldschrank aufbewahrt. Dann verschwand er mit Walker und mit dem Geld.“
Jetzt fragte White drin:
„Nun, Señor Carlos, habe ich Euch überzeugt?“
„Ja, Señor. Komm her, Anitta, und gib dem Doktor deine Hand!“ Jetzt horchten die Lauscher gespannt, was Anitta sagen würde.
„Ich gebe sie ihm nicht!“ sagte sie in sehr entschlossenem Ton.
„Du weißt, daß er mein Versprechen hat!“
„Das deinige, ja; aber von mir hat er kein Versprechen erhalten.“
„Versprechen ist Versprechen!“ rief White. „Ich denke doch, daß jede Tochter ihrem Vater Gehorsam schuldet! Eduard ist nicht gekommen; wahrscheinlich ist er in den Minen verdorben und gestorben, und – – –“
Er kam nicht weiter in seiner Rede, denn Old Shatterhand schob jetzt Eduard durch die Tür in das Zimmer, und dieser sagte:
„Ich bin gekommen, wie Ihr seht. An Euch, Señor White, liegt es freilich nicht, daß ich noch lebe und nicht gestorben bin!“
Anitta flog mit einem Freudenruf auf ihn zu. White aber starrte ihn erschrocken wie einen Toten an, der plötzlich aus dem Grab steigt. Da öffnete sich die Küchentür wieder, und Gromann kam herein. Er trat an den Tisch, griff nach den Etuis und sagte:
„Dieser Schmuck ist Mr. Cleveland gestohlen worden; ich konfisziere ihn.“
„Konfiszieren?“ fuhr White auf. „Ich möchte den sehen, der den Mut hat, sich an meinem wohlerworbenen Eigentum zu vergreifen!“
„Das tue ich, weil es nicht wohlerworben ist. Ich bin Detektiv und erkläre Euch, daß Ihr mein Gefangener seid, Mr. Walker, der sich hier White nennt!“
Und abermals wurde die Tür geöffnet. Old Shatterhand kam herein und sagte:
„Auch Walker ist sein richtiger Name nicht. Er hat schon hundert Namen getragen und seinen ursprünglichen wohl darüber vergessen; sein berühmtester oder berüchtigtster aber ist Kanada-Bill.“
Jetzt wurde der Schreck des angeblichen Doktors geradezu zum Entsetzen; sein Gesicht erbleichte bis zur Farbe des Papiers, und seine Gestalt wankte, so daß er sich mit den Händen auf den Tisch stützen mußte.
„Old – Shat – ter – hand!“ kam es dabei bebend über seine blutleeren Lippen.
„Ja, Old Shatterhand! Jetzt weißt du wohl, daß für dich kein Entrinnen ist! Deine Taten schreien zum Himmel auf, und es wäre besser, du hättest die Kugel, welche diesen jungen Mann hier töten sollte, dir ins eigene Herz gejagt; da wärest du dem Strang entgangen, dem ich dich ausliefern werde. Deine Laufbahn ist zu Ende!“
Die Wirkung dieser Worte riß die Gestalt des Kanada-Bill aus ihrer zusammengesunkenen Haltung empor. Seine Wangen färbten sich wieder, und seine Augen blitzten. Er griff mit der Hand in die Tasche und schrie Old Shatterhand an:
„Meinst du wirklich, daß ich so nahe am Strang stehe? Noch ist es nicht so weit!“
„Es ist soweit, und selbst dein Revolver kann dich nicht retten. Heraus mit der Hand aus der Tasche!“
„Ja, heraus! Aber nicht bloß mit der Hand. Ehe ich den Strang erhalte, bekommst du dieses Blei!“
Er hob die Hand, in welcher der Revolver blitzte, und richtete ihn auf Old Shatterhand. Der Schuß
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