08 - Tod Auf Dem Pilgerschiff
daß Fidelma erstarrte und abrupt in die Gegenwart zurückgerufen wurde. Ihre wirren, bedrückenden Erinnerungen waren vergessen. Einen Moment mußte sie überlegen, wo sie sich befand. Sie hatte die Kajüte betreten, die Wenbrit ihr gezeigt hatte und die sie mit jemand teilen sollte. Nun stand sie hier in der Dunkelheit.
Das Stöhnen hörte sich an, als leide jemand starke Schmerzen.
»Was ist?« flüsterte Fidelma und versuchte die Richtung zu ergründen, aus der der Ton kam.
Erst trat Stille ein, dann rief eine Stimme kläglich: »Ich sterbe!«
Fidelma sah sich rasch um. Es war stockdunkel in der Kajüte.
»Gibt es hier kein Licht?«
»Wer braucht denn Licht zum Sterben?« kam die Erwiderung. »Wer bist du überhaupt? Das hier ist meine Kajüte.«
Fidelma machte die Tür wieder auf, damit ein wenig Licht vom Durchgang hereinfiel. An der Tür fand sie einen Kerzenstumpf, den sie an der Laterne entzündete. Zum Glück war Cian verschwunden.
Als sie nach wenigen Augenblicken zurückkam, sah sie eine Frau in der unteren der beiden Kojen der winzigen Kajüte liegen. Ihre Kutte schien in Unordnung, ihr Gesicht war totenblaß, aber immer noch recht hübsch. Sie war jung, vielleicht Anfang zwanzig. Neben der Koje stand ein Eimer.
»Bist du seekrank?« Sie sagte es mitfühlend und wußte, daß die Frage überflüssig war.
»Ich sterbe«, beharrte die Frau. »Ich möchte allein sterben. Ich wußte nicht, daß es so schlimm ist.«
Fidelma schaute sich rasch um. Sie sah, daß ihr Gepäck auf der anderen Koje lag.
»Das kann ich nicht zulassen, Schwester. Ich teile für diese Fahrt die Kajüte mit dir. Ich heiße Fidelma von Cashel«, fügte sie fröhlich hinzu.
»Du irrst dich. Du gehörst nicht zu meiner Gruppe. Ich habe allen Kajüten zugeteilt und …«
»Der Kapitän hat mich hier eingewiesen«, erklärte Fidelma rasch, »und nun will ich dir helfen.«
Erst trat Schweigen ein. Dann stöhnte die junge blasse Schwester laut auf.
»Mach das Licht aus. Ich kann kein flackerndes Licht ertragen. Und geh weg und sag dem Kapitän, ich will allein gelassen werden, damit ich im Dunkeln sterben kann. Ich verlange , daß du weggehst!«
Fidelma holte tief Luft. Das hatte ihr gerade noch gefehlt, mit einer jammernden eingebildeten Kranken zusammengesperrt zu sein.
»Es würde dir sicher besser gehen, wenn du oben auf Deck wärst statt in dieser Enge hier«, erwiderte sie. »Wie heißt du übrigens?«
»Muirgel.« Die Stimme war kaum mehr als ein Ächzen. »Schwester Muirgel aus Moville.«
Fidelma hatte schon von der Abtei gehört, die der heilige Finnian vor hundert Jahren am Ufer des Loch Cúan in Ulaidh gegründet hatte.
»Nun, Schwester Muirgel, wir wollen sehen, was wir für dich tun können«, sagte Fidelma entschlossen.
»Laß mich in Frieden sterben, Schwester«, jammerte die Kranke. »Kannst du dir nicht eine andere Kajüte für deine Fröhlichkeit suchen?«
»Du brauchst Luft, frische Seeluft«, ermahnte sie Fidelma. »Die Dunkelheit und die stickige Luft in dieser Kajüte machen deine Krankheit nur noch schlimmer.«
Die Gestalt in der Koje würgte jämmerlich und gab keine Antwort.
»Ich habe gehört, wenn man den Blick fest auf den Horizont richtet, hört die Seekrankheit allmählich auf«, riet ihr Fidelma.
Schwester Muirgel versuchte den Kopf zu heben.
»Bitte laß mich einfach in Frieden«, stöhnte sie und fügte bockig hinzu: »Geh weg und ärgere jemand anders.«
K APITEL 4
Fidelma mußte es aufgeben. Es hatte keinen Zweck, mit einer jungen Frau in diesem Zustand ein vernünftiges Gespräch führen zu wollen. Sie fragte sich, ob es noch eine andere Kajüte für sie gäbe. Jede andere wäre besser als eine, in der sie mit jemand eingesperrt wäre, der von weitgehend eingebildeten Ängsten geplagt wurde. Fidelma hatte Mitleid mit jedem, der krank war, aber nicht mit jemand, der sich helfen konnte und es nicht wollte. Sie beschloß, den Kajütenjungen Wenbrit zu suchen und ihm das Problem vorzutragen.
Als sie aus der Kajüte trat, kam Wenbrit gerade die Treppe herunter. Er grüßte sie mit einem Lächeln, und sie bemerkte, daß sich sein Verhalten ihr gegenüber leicht gewandelt hatte. Es war weniger vertraulich und weniger frech als zuvor.
»Verzeihung, Lady.« Fidelma erriet sofort den Grund für sein verändertes Benehmen und unterdrückte ihren Ärger darüber, daß Murchad verraten hatte, wer sie war. »Ich habe einen Fehler gemacht«, sagte er höflich. »Da du nicht zu den Pilgern
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