08 - Tod Auf Dem Pilgerschiff
er hier sollte. Fidelma ging zur Tür.
»Komm rein, Bruder Tola«, befahl sie knapp. Als sie Bruder Guss hinter ihm erblickte, fügte sie hinzu: »Du wartest draußen. Ich habe gleich noch mit dir zu reden.«
Mit düsterer Miene trat Bruder Tola ein.
»Was ist denn jetzt los?« wollte er wissen und sah sich angewidert um.
Fidelma ging zur Koje und hielt die Lampe über der Leiche hoch.
Bruder Tola schnappte nach Luft und trat einen Schritt näher.
»Wer ist das, Bruder Tola?« fragte Fidelma und ließ ihn nicht aus den Augen.
Er sah völlig verwirrt aus und beugte sich kopfschüttelnd vor.
»Es ist Schwester Muirgel«, flüsterte er. »Was hat das zu bedeuten? Ich dachte, sie wäre über Bord gespült worden.«
Es stand außer Frage, daß seine Überraschung echt war.
»Geh zu den anderen zurück, Tola«, befahl ihm Fidelma leise, »aber erzähl nichts hiervon, bis ich nachkomme. Das wird bald sein. Sag Bruder Guss, er soll reinkommen, wenn du rausgehst.«
Mit leichtem Kopfschütteln verließ sie der erschütterte Mönch. Fidelma war enttäuscht. Sie hatte beinahe damit gerechnet, daß ein Anzeichen verraten würde, daß Tola nicht sehr erstaunt wäre über den Anblick der Leiche Muirgels. Ein so guter Schauspieler war er sicher nicht. Er war ebenso verblüfft von Muirgels Wiederauftauchen wie sie selbst. Dann trat mit einem leisen Hüsteln der junge Mönch ein.
Wieder hob Fidelma einfach die Lampe hoch und beobachtete sein Gesicht.
»Wer ist das, Bruder Guss?«
Der junge Mann wurde totenblaß und taumelte zurück. Fidelma glaubte einen Moment, er werde ohnmächtig. Er schlug die Hände vors Gesicht und stöhnte herzzerreißend.
»Muirgel! O mein Gott, Muirgel!« Er wiegte sich auf den Fersen vor und zurück.
Fidelma hängte die Lampe an und schob ihn sacht auf einen Stuhl.
»Du hast mir einiges zu erklären, Bruder Guss. Als ich dich gestern befragte, wußtest du, daß Schwester Muirgel noch am Leben war. Du hast nicht diesen Schmerz gezeigt, als wir alle annahmen, sie sei über Bord gespült worden. Wo hatte sie sich versteckt und warum?«
»Ich habe Muirgel geliebt«, schluchzte der junge Mann leise.
»Und du wußtest, daß sie noch lebte?«
»Ja, das wußte ich«, bestätigte er zwischen seinem Schluchzen.
»Warum hat sie so ein Schauspiel inszeniert und vorgegeben, sie sei über Bord gefallen?«
»Sie fürchtete, daß man sie umbringen würde«, sagte er weinend.
Fidelma betrachtete ihn neugierig.
»Willst du damit sagen, daß sie sich irgendwo an Bord versteckte, weil sie ihr Leben in Gefahr glaubte?«
Er nickte und versuchte sein kummervolles Schluchzen zu unterdrücken.
»Warum kam sie dann überhaupt an Bord, wenn sie um ihr Leben fürchtete? Ist ein Schiff nicht der letzte Ort, an dem man Zuflucht finden kann?«
»Sie begriff erst, daß sie das nächste Opfer sein würde, nachdem sie an Bord war. Da war es zu spät, wir waren schon ausgelaufen. So richtete sie es ein, daß sie sich versteckte, und ich half ihr dabei.«
»Das nächste Opfer?« fragte Fidelma.
»Schwester Canair war schon ermordet worden, bevor wir an Bord kamen.«
»Canair?« Fidelma war erstaunt. »Willst du damit sagen, Schwester Muirgel und du, ihr hättet schon gewußt, als ihr an Bord kamt, daß Schwester Canair tot ist?«
»Das ist eine lange Geschichte, Schwester«, erklärte Bruder Guss, der sich nun wieder ein wenig unter Kontrolle hatte.
»Dann fang mal an damit. Zu welchem Zweck hat sich Schwester Muirgel im Schiff verborgen, statt in ihrer Kajüte zu bleiben?«
»Sie wollte sich vor dem Mörder verstecken, und dann wollte ich sie im ersten Hafen, den wir anliefen, von Bord schmuggeln, wahrscheinlich auf Ushant. Wir hofften, daß wir in der Dunkelheit ankommen würden, und wollten uns dort verbergen, bis das Schiff mitsamt dem Mörder ausgelaufen war.«
»Ein merkwürdiger Plan. Warum habt ihr nicht einfach die Geschichte dem Kapitän berichtet? Wenn ihr wußtet, daß sich ein Mörder an Bord befand und weiter töten wollte …«
»Es war Muirgels Idee. Sie meinte, niemand würde ihr glauben. Jetzt müssen sie’s.« Der junge Bruder begann erneut zu schluchzen.
»Also der Mörder war an Bord. Weißt du, wer es ist?«
Guss schüttelte traurig den Kopf.
»Ich weiß es nicht, jedenfalls nicht sicher. Muirgel wußte es, wollte es mir aber nicht verraten, um mich nicht in Gefahr zu bringen. Ich kann nur vermuten, wer es sein könnte.«
Der junge Mann stand unter Schock, denn er sprach wie im
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