080 - Die Vampir- Oma und ihre Kleinen
„Ich muß hier bleiben, in dieser Stadt, bei meiner … Mutter.“ Sie zögerte, das letzte Wort auszusprechen.
Heinz hatte nichts gehört, die Qualen füllten sein Bewußtsein aus. Doch allmählich verging der Schmerz. Sein verkrampfter Körper entspannte sich. Er wischte sich den Schweiß vom Gesicht.
„Mein Gott, so etwas habe ich noch nie erlebt. Hoffentlich habe ich mir in Indien keine Tropenkrankheit geholt. Das wünsche ich meinem ärgsten Feind nicht.“
Er stand auf, ging unter die Dusche nebenan, denn sein Körper war schweißüberströmt. Auch das Laken, auf dem er gelegen hatte, war schweißgetränkt. Roswitha hörte das Rauschen des Wassers. Sie biß sich in den Daumenballen, daß der Schmerz ihr die Tränen in die Augen trieb.
Nach fünf Minuten kam Heinz zurück. Er hatte sich rasiert und die Zähne geputzt. Nun lachte er schon wieder.
„Komm her, mein Schatz. Ich will dir zeigen, daß du keinen Invaliden zum Mann bekommst.“
„Wir werden nicht heiraten, Heinz.“
Heinz ging weiter auf Roswitha zu. Dann begriff er, was sie gesagt hatte. Das Lächeln verschwand von seinem Gesicht.
„Was meinst du?“
„Wir werden nicht heiraten, Heinz, und ich werde nicht mit dir nach Indien gehen. Das sind Hirngespinste. Ich habe nur Spaß gemacht gestern abend. Natürlich bleibe ich hier.“
Heinz setzte sich auf die Bettkante. Er sah Roswitha in die Augen. So hart und böse hatte sie ihn noch nie gesehen.
„Was ist los mit dir, Roswitha? Du hast dich verändert, und nicht zu deinem Vorteil. Sogar im Bett bist du ganz anders, als ich dich in Erinnerung hatte, auch körperlich. Sag mir – ist da ein anderer Mann?“
Roswitha senkte den Kopf. Was sollte sie ihm sagen? Sie kannte Heinz. Wenn sie Ausflüchte machte, würde er immer wieder in sie dringen, würde nicht ruhen, bis er alles wußte. Die Wahrheit konnte sie ihm nicht sagen. Irgendwo hatte sie einmal gelesen: „Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.“
„Ja“, antwortete Roswitha. „Es gibt einen anderen. Einen, den ich mehr liebe als dich.“
„Aber nicht nur ihn.“ Heinz lächelte böse. „Deshalb auch die Striemen auf deinem Rücken. Er hat dich wohl einmal mit einem deiner Liebhaber erwischt. Jetzt verstehe ich auch deine Mutter, die dich anpries wie saures Bier oder wie einen angebissenen, angefaulten Apfel, als ich die Möglichkeit einer Heirat erwähnte. Das hätte ihr wohl gepaßt, dich unter die Haube zu bringen. So muß sie ja damit rechnen, daß du dir womöglich noch ein Kind machen läßt.“
Schärfer, als sie es gewollt hatte, sagte Roswitha: „Was weißt du denn? Geh, geh und verschone mich mit deinem Gerede.“
„Das ist immer noch mein Zimmer. Nun, Schätzchen, du hast ja gehabt, was du gewollt hast. Zieh dich an und verschwinde. Wegen so etwas bin ich von Indien nach Deutschland gekommen. Aber ich hätte es wissen müssen, als keine Post mehr kam.“
Roswitha zog sich schweigend an, ohne Heinz anzusehen. Erst an der Tür sah sie noch einmal zurück. Sie erkannte, daß Heinz litt, trotz seiner rauhen, harten Worte. Sein Gesicht hatte den Ausdruck eines Gefolterten. Auch Roswitha spürte Schmerz und Kummer bis ins Innerste.
Einen Augenblick lang war sie in Versuchung, ihm alles zu sagen, wollte ihn bitten, ihr zu helfen, sie zu retten. Doch sie brachte kein Wort hervor.
Sie wandte den Blick von diesen grauen Augen, in denen tiefer, seelischer Schmerz stand, und ging. Ging aus dem Hotel, die Uferallee entlang, weg von einer glücklichen Zukunft, ging zu dem düsteren, alten Haus am Fluß, zu ihrer Mutter.
Annie Engelmann stand an der Haustür, als Roswitha kam.
„Schön, daß du wieder da bist, mein Kind. Ich habe dich einmal rufen müssen in der Nacht. Wie geht es Heinz? Der Meister hat eine drastische Art, seinen Wünschen Nachdruck zu verleihen.“
Heinz Kolbe reiste noch am selben Tag verbittert und enttäuscht ab. Annie Engelmann und ihre Tochter Roswitha lebten weiter in dem düsteren alten Haus am Fluß.
Mit der Zeit verstummte in der kleinen Stadt das Gerede über den seltsamen Fall der ausgesetzten Drillinge, die gar keine Drillinge gewesen waren. Wie die Ärzte festgestellt hatten, mußten drei Mütter sie geboren haben. Doch die Nachforschungen der Polizei ergaben nichts. Eine Angestellte des Städtischen Krankenhauses erklärte, daß zwölf Tage vor der Entdeckung der ausgesetzten Säuglinge eine Unbekannte das Krankenhaus angerufen und behauptet habe, sie komme
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