080 - Die Vampir- Oma und ihre Kleinen
abspielt, ich brauche da nichts ins Detail zu gehen.“
Alice Finck sah von ihrer Näharbeit auf.
„Der Junge ist sehr frühreif“, sagte sie. „Er hat eine unheimliche Kombinationsgabe. Natürlich informiert er sich irgendwie, durch Beobachtungen, durch Bemerkungen, die er zufällig aufschnappt. Den Rest reimt er sich zusammen.“
„Leider hat er sehr oft recht“, antwortete der Uhrmachermeister Finck. Die Fälle, in denen Harald angeblich Unrecht gehabt hatte, waren von den Betroffenen lediglich anders dargestellt worden, aber das wußte Finck nicht.
Erika Möller hatte schnell begriffen, daß ihre Eltern oder ihre älteren Schwestern sie nicht schlagen konnten, wenn sie ihnen ihr magisches „Halt“ entgegenschleuderte. So hübsch sie war, so ungezogen war sie auch. Sie brachte ihre Eltern und die Geschwister zur Verzweiflung. Wenn etwas nicht nach ihrem Kopf ging, hatte sie Tobsuchtsanfälle, warf sich auf den Boden und schrie wie am Spieß.
Wenn Ludwig Möller dann voller Zorn eine Peitsche holte, um ihr die verdiente Tracht Prügel zu verpassen, rief sie: „Halt!“ und Möller stand wie angewurzelt, die Peitsche in der Faust. Der kalte Schweiß brach ihm aus, wenn er Erikas höhnisches Lächeln sah.
Das erste Lebewesen, das Erika umbrachte, aus reinem Spaß, war ein Schäferhund. Der Hund trottete über die Straße. Einer der Speditionslastwagen näherte sich. Erika rief: „Halt!“
Bremsen quietschten, aber es war zu spät. Bleich stieg der Fahrer des Lastwagens aus und betrachtete das, was von dem Schäferhund noch übrig war.
Brigitte, Erikas vierzehnjährige Schwester, war ihre größte Feindin. Die älteste Schwester verabscheute die jüngste. Erika wußte das. Sie machte sich einen Spaß daraus, Brigitte mit ihren Bosheiten zur Weißglut zu treiben.
Einmal verlor Brigitte die Beherrschung. Sie verpaßte Erika links und rechts ein paar Ohrfeigen, ehe sie ein Wort hervorbringen konnte. Erika sah sie böse an und schrie: „Halt!“
Brigitte erstarrte. Die fünfjährige Erika lief ins Haus und holte ein scharfes Messer aus der Schublade. Sie schnitt der reglos dastehenden Brigitte tief ins Bein. Völlig kalt und gefühllos sah sie zu, wie das Blut aus der tiefen Wunde strömte. Lange bevor Brigitte sich wieder bewegen oder einen Ton von sich geben konnte, lief Erika weg.
Nach diesem Vorfall sprach Möller mit seiner Frau darüber, was mit Erika geschehen sollte. „Es ist unheimlich, welche Macht sie hat. Ein Wort, und ich, ein ausgewachsenes Mannsbild von zwei Zentnern, stehe da und kann kein Glied mehr rühren. Wenn Erika älter wäre und nicht unser Kind, würde ich sagen, sie ist eine Hexe.“
Ruth Möller lachte gepreßt. „Unsinn, Ludwig, sie ist fünf Jahre alt. Sie kann nie eine Hexe sein. Es könnte sie höchstens jemand verhext haben. Aber das sind Hirngespinste, wir leben nicht im Mittelalter.“
„Verhext oder selber Hexe, was ist da der Unterschied? Ruth, seit sie Brigitte so zugerichtet hat, habe ich Angst vor der Kleinen. Ich kann sie nicht einmal für ihre Tat bestrafen, sonst macht sie womöglich das gleiche mit mir. Was sollen wir denn nur tun, Ruth?“
„Abwarten. Ganz verstehe ich ja nicht, was da vorgeht, aber es muß sich wohl um eine Art Hypnose handeln. Erikas Befehl lähmt das Gehirn und damit den Körper. Hoffen wir, daß Erika ihre unheimliche Fähigkeit eines Tages verliert. Auf ihre Art ist Erika zweifellos ein Wunderkind, und Wunderkinder haben im späteren Leben selten Karriere gemacht.“
„Ich glaube eher, sie ist eine Hexe“, sagte Ludwig Möller. „Doch du hast recht, Ruth, wir können wirklich nur abwarten. Wenn wir über die Sache reden, werden wir für verrückt erklärt.“
„Hoffen wir, daß Erika doch noch ein normales Kind wird.“
Im Sommer dieses Jahres ließ Erika einen Mann in der Nordsee ertrinken. Die Möllers hatten ihre vier Töchter mit in den Urlaub genommen. Am Strand von ihrer Sandburg aus sah Erika die Köpfe der Schwimmer über dem Wasser. Eine dämonische Lust überkam sie.
Sie ging auf einen Landesteg. Ein Mann schwamm auf den Steg zu. Erika sah ihn fest an und sagte: „Halt!“
Der Mann sackte ab wie ein Stein. Nur ein paar Luftblasen stiegen noch auf. Niemand hatte den Vorfall bemerkt. Befriedigt wandte die kleine Erika sich ab. Die Leiche wurde erst drei Tage später an den Strand gespült.
Solange sie auf sich gestellt und isoliert waren, hatten die drei Kinder nicht allzuviel Schaden anrichten
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