080 - Die Vampir- Oma und ihre Kleinen
wurde mir gesagt.“
Dr. Schneider zog wohl aus ihrer Erregung falsche Schlüsse, denn er sagte: „Die Rabenmutter dieser Kinder setzte sie sicher gerade vor ihrem Haus aus, weil Sie Hebamme sind. Ich kann Ihre Empörung über diese Handlungsweise verstehen. Da geben Sie sich solche Mühe, Kindern auf die Welt zu helfen, und andere Menschen lassen sie einfach in einem Korb liegen wie schmutzige Wäsche. Frau Engelmann, diese Rabenmutter wird sicherlich ermittelt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß eine Drillingsgeburt geheim bleiben kann. Irgend jemand wird der Polizei Hinweise geben können. – Sie entschuldigen mich jetzt, ich muß gehen.“
Als der junge Arzt gegangen war, stemmte Annie die Fäuste in die Hüften.
„Daran hatte ich nicht gedacht“, sagte sie. „Der Schweigebann wirkte. Du konntest das Haus nicht verlassen. Daß du draufkommen würdest! Aber das soll dir leid tun, das schwöre ich dir. Das wirst du mir büßen!“
Sie packte Roswitha an den Haaren und schleifte die Aufschreiende aus dem Zimmer.
Drei Tage später klingelte es an der Tür des alten Hauses am Fluß. Annie Engelmann öffnete. Ein junger Mann stand draußen. Er war noch keine Dreißig, hatte schwarzes Haar und ein breites, energisches Gesicht. Er trug einen weißen Rollkragenpullover, eine schwarze Lederjacke und schwarze Cordhosen.
„Mein Name ist Heinz Kolbe. Ich möchte zu Roswitha. Sie sind Frau Engelmann?“
„Allerdings. Was führt Sie denn so plötzlich her, Herr Kolbe? Ich denke, Sie sind in Indien und bauen dort ein Kraftwerk?“
„Der Job ist vorbei, Frau Engelmann. Es freut mich, daß ich Roswithas Mutter endlich kennenlerne. Ich wollte schon lange einmal mit Ihnen sprechen, aber Roswitha fielen immer tausend Ausreden ein.“
Annie Engelmann musterte den jungen Mann. Schließlich gab sie die Tür frei.
„Kommen Sie nur herein, Herr Kolbe. Roswitha ist nicht da, aber sie wird bald zurück sein. Sie wissen sicher noch nicht, daß Roswitha bald als Säuglingspflegerin im Krankenhaus arbeiten wird? Die Vorliebe für Kleinkinder liegt bei uns wohl in der Familie.“
Als Roswitha eine Stunde später kam, fand sie Heinz Kolbe und ihre Mutter im Wohnzimmer in einem vertrauten Gespräch. Heinz erzählte gerade von seiner Arbeit in Radschahmandri. Er konnte anschaulich berichten und würzte seine Erzählungen mit humorvollen Bemerkungen. Annie Engelmann spielte ganz die aufmerksame Gastgeberin, die Mutter, die zum erstenmal den Freund der Tochter sieht und von diesem recht angetan ist.
„Heinz“, sagte Roswitha und blieb schüchtern an der Tür stehen.
Heinz Kolbe stellte sofort die Kaffeetasse auf den Tisch und stand auf.
„Roswitha!“
Er war entsetzt, wie sehr Roswitha sich verändert hatte, seit er sie vor knapp zehn Monaten zum letztenmal gesehen hatte. Ihre blauen, früher so strahlenden Augen sahen stumpf und glanzlos aus. Ihre Bewegungen wirkten steif und sie machte einen apathischen Eindruck. War das noch das muntere, lebensfrohe Mädchen, das Heinz gekannt und geliebt hatte?
„Ich habe mit deiner Mutter über verschiedenes gesprochen, Roswitha“, sagte Heinz Kolbe steif. „Sie meint, daß du dich frei entscheiden sollst und daß sie dich nicht beeinflussen will. Wollen wir heute abend ausgehen, Roswitha, es gibt so viel zu besprechen?“
Roswitha sah zu ihrer Mutter.
„Aber natürlich gehst du mit“, sagte diese. „Mit der Wäsche werde ich schon allein fertig. Jungen Leuten soll man nicht im Wege stehen.“
„Gut, dann hole ich dich in einer Stunde ab, Roswitha. Ich muß zum Hotel, sonst wird mein Zimmer vergeben.“
„Sagen wir lieber zwei Stunden. Roswitha wird sich schön machen wollen, und das dauert eine Weile.“
Heinz Kolbe verabschiedete sich. Roswitha gab ihm die Hand. Sie war kalt. Einen Augenblick klammerte sie sich an seine Hand wie eine Ertrinkende, aber seinem Blick wich Roswitha aus.
Als er gegangen war, stand Roswitha mit hängenden Armen vor ihrer Mutter. Annie lachte.
„Komm“, sagte sie. „Komm, mein Kind. Wir wollen unsere Vorbereitungen treffen für die Nacht mit deinem Geliebten.“
Die Freundlichkeit fiel von ihr ab wie ein Mantel. Sie zeigte wieder jenes dämonische Wesen, das Roswitha so sehr fürchtete. Die Frau und das Mädchen gingen die Treppen hoch, zu dem düsteren Zimmer.
Krampfhaft sah Roswitha an der Statue vorbei.
„Du wirst mit ihm gehen und die ganze Nacht bei ihm bleiben“, sagte Annie. „Der Zeit nach könnte es klappen.
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