080 - Die Vampir- Oma und ihre Kleinen
schmeichelte. Sie bearbeitete Annie so lange, bis die endlich seufzte und redete. Sie konnte ihrem Liebling eben keinen Wunsch abschlagen.
„Du mußt wissen, Kind, daß der Vampirismus die dunklen Kräfte fördert. Das Blut eines Menschen ist Kraft und Leben für alle Geschöpfe der Finsternis, seien es jetzt Vampire, Hexen, Zauberer, Dämonen oder Werwölfe. Das Beste aber ist das Blut eines Neugeborenen. Es gibt nichts Köstlicheres. Nichts auf der Welt ist damit zu vergleichen.“
„Das muß ich haben“, sagte Erika sofort. „Sicher kann ich dann zaubern und beschwören wie du, Tante Annie. Noch heute nacht raube ich mir ein Neugeborenes und trinke von seinem Blut.“
„Kind, tu das nicht. Es ist noch zu früh. In ein paar Jahren, wenn du reifer und weiter entwickelt bist, wenn du die Grundkenntnisse der niederen Riten beherrschst, dann werde ich dir Blut zu trinken geben. Jetzt noch nicht. Es wäre zu gefährlich. Du hast noch keine Kontrolle über dich.“
Erika lächelte engelhaft. Sie sagte: „Jetzt.“
Ihre dunklen Augen glimmten und glühten wie die der Statue. Annie Engelmann zögerte, aber nicht lange, Sie kannte Erikas Trotzkopf und wußte, daß sie sie nicht umstimmen konnte. Sollte sie ihren Liebling Gefahr laufen lassen, ertappt zu werden?
„Also gut“, sagte Annie. „In der Bismarckstraße ist ein wenige Tage altes Baby, im Haus Nr. 108. Sag Martin, er soll es rauben, um Punkt 22.00 Uhr. Ich werde dafür sorgen, daß niemand ihn stören kann. Mit dem Kind soll er hierher fliegen, in das alte Haus am Fluß. Später soll er es wieder zurückbringen, damit niemand etwas merkt und kein Aufsehen entsteht.“
„Ja, Tante Annie, so wollen wir es machen.“
Das Mädchen verließ das alte Haus.
Annie Engelmann sah Erika nach, wie sie die Straße entlang hüpfte. Vielleicht war das eine gute Möglichkeit, zu frischem Blut zu kommen. Bei ihren Besuchen auf der Säuglingsstation des Krankenhauses hatte Annie nur selten Gelegenheit, das Blut eines Neugeborenen zu trinken. Fast ständig waren Ärzte und Pflegerinnen da. Roswitha leistete einen zähen, passiven Widerstand und sabotierte die Besuche ihrer Mutter, wo sie nur konnte.
Erika verständigte Martin Roemer und Harald Finck.
Um zehn Uhr abends hielt Annie Engelmanns Wagen vor dem Haus Bismarckstraße 108. Die Hebamme stieg aus. Sie stellte sich vor das Haus und vollführte ihre magischen Gesten.
Dann flüsterte sie:
„Zauberschlaf und Höllengebot-
Bringe dieses Haus in Not.
Mach sie alle todesmatt-
Keiner rührt sich von der Statt.“
Annie Engelmann blieb neben ihrem Wagen stehen. Ein Junge kam die Straße entlang. Martin Roemer.
„Das dritte Zimmer rechts im dritten Stock“, flüsterte Annie ihm zu.
Der Junge ging ins Haus, als wohne er dort. Drei Minuten später sah Annie, wie das Fenster im dritten Stock geöffnet wurde. Martin trat auf die Fensterbank, eine Einkaufstasche über die Schulter gehängt. Einen Augenblick stand er im Licht der Straßenlampe, dann stieß er sich vom Fensterbrett ab und erhob sich in die Luft. Rasch gewann er an Höhe, entschwand aus dem Lichtkreis der Neonlampe.
Annie Engelmann stieg in ihren Wagen und fuhr in das Haus am Fluß zurück. Martin hätte längst da sein müssen, doch es war nichts von ihm zu sehen. Auch Erika und Harald, die im Hause hätten sein sollen, waren nicht da.
Annie wurde klar, daß die Kinder eigenmächtig handelten. Sie ging hinauf in das Zimmer im zweiten Stock und nahm ihre Kristallkugel aus der Schublade. Beschwörungen murmelnd beugte sie sich darüber. Aber die Einflüsse der Gestirne waren ungünstig an diesem Abend. Nichts zeigte sich in der Kristallkugel.
Annie konnte nichts tun, als abzuwarten.
Das bleiche Licht des vollen Mondes fiel auf die Waldlichtung. Abgestorbene Äste warfen Schatten, als wollten sie nach den drei Kindern greifen, die sich über etwas am Boden beugten.
Es war ein nacktes, neugeborenes Kind, ein Mädchen. Es reckte den Kindern die Ärmchen entgegen, weinte.
Erika bannte es zur Reglosigkeit. Dann hob sie das Kleine hoch. Ihre spitzen, weißen Zähne näherten sich dem Hals des Säuglings. Während Harald und Martin gebannt zuschauten, grub Erika ihre Zähne in das Fleisch, fand die Halsschlagader.
Einen Augenblick sprudelte Blut hervor wie ein Springquell, dann saugte Erika es in den Mund. Sie hatte vorher noch nie einem Wesen Blut ausgesaugt, doch nach dem ersten Versuch konnte sie es instinktiv, wie ein neugeborenes
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