080 - Die Vampir- Oma und ihre Kleinen
auf?“
Roswitha musterte Erika noch einmal, diesmal genauer und eingehender. Plötzlich befiel sie ein Verdacht. Das Alter, das Aussehen, alles konnte stimmen. Langsam machte sie zwei Schritte auf Erika zu.
„Ist sie … ist sie eines von meinen Babys? Ist sie mein kleines Mädchen?“ Ihre Stimme zitterte, Tränen standen in ihren Augen.
Erika, der solche Auftritte zuwider waren, wich zurück bis an die Wand und sagte: „Bleib weg! Bleib weg von mir und faß mich nicht an!“
Annie beobachtete die Szene mit bösem Lächeln. Sie schloß die Haustür. Roswitha beugte sich nieder, streckte die Arme nach Erika aus, wollte sie in die Arme schließen.
„Halt!“ rief Erika.
Roswitha verharrte reglos in der hockenden Stellung. Erika ging an ihr vorbei auf Annie zu.
Die Hebamme lachte Roswitha böse an. „Natürlich ist sie dein Kind, du Närrin. Aber sie hat nichts mit dir gemein. Sie ist das, was du nie sein wirst. Ein Geschöpf der Finsternis.“
Erika warf einen schrägen Blick auf die bewegungslos am Boden hockende Frau mit den ausgestreckten Armen. Dann folgte das Mädchen Annie Engelmann ins Zimmer.
„Was soll das Gerede, Tante Annie?“ fragte Erika. „Wie kann ich ihr Kind sein?“
„Du mußt noch viel lernen, Erika“, antwortete Annie. „Eines Tages wirst du alles erfahren. Um Roswitha brauchst du dich nicht zu kümmern. Wenn sie dir irgend etwas erzählen will, dann höre einfach nicht auf sie.“
„Mir ist es egal, was sie sagt und meint, Tante Annie. Du, ich, Harald und Martin gehören zusammen. Die anderen gehen uns alle nichts an.“
Diese Worte hörte Roswitha noch, bevor die Zimmertür sich schloß. Sie spürte am eigenen Leib, welche magischen Kräfte die kleine Erika hatte, und sie begriff, was aus ihren Drillingen geworden war. Tränen strömten ihr aus den Augen, liefen über ihr Gesicht und tropften auf den Boden, ohne daß ein Laut über ihre Lippen kam.
Ein Jahr verging. Die Ermittlungen über die Brandstiftung waren eingestellt worden, denn nichts kam bei den Nachforschungen der Polizei zutage. Der Tod Lucie Sonnfelds galt offiziell als Unglücksfall. Richard Reimer hatte sich an eine andere Schule versetzen lassen, denn nach Gerda Holzbauers Tod wollte er nicht mehr in der Stadt bleiben. Ihre vagen Andeutungen, daß übernatürliche Kräfte im Spiel sein könnten, hatte er keine Minute ernst genommen.
Die drei Kinder wuchsen weiter heran, besuchten jetzt die zweite Klasse. Sie waren noch boshafter, gemeiner, grausamer und abartiger geworden, aber auch raffinierter und heimtückischer. Annie Engelmann beriet sie, sagte ihnen, wie sie sich verhalten sollten. Seitdem fielen sie nicht mehr auf, weder zu Hause noch in der Schule. Doch das war nur Tarnung, denn die dämonischen Kräfte der drei Kinder hatten noch zugenommen.
Sie verbrachten viel Zeit bei Annie Engelmann. Die Hebamme lebte auf, denn endlich sah sie sich am Ziel ihrer Hoffnungen und Wünsche. Die Kinder waren ihre ganze Freude. Sie halfen ihr hinweg über die Enttäuschung, daß ihre eigene Tochter Roswitha übernatürliche Dinge und selbst harmlose Zauberriten verabscheute.
Besonders die kleine Erika war Annies Augenstern. Sie fütterte sie mit Süßigkeiten und bösen Ratschlägen, wie sie Menschen und Tiere behexen und verderben konnte. Doch trotz aller Bemühungen konnte Erika mit keinem Zauberspruch ein Resultat erzielen. Ihre angeborene Fähigkeit, Menschen an die Stelle zu bannen, war wirksamer denn je. Erika konnte eine ganze Menschenmenge zum Stillstand bringen, wie sie einmal auf einem Schulausflug ausprobiert hatte. Doch zaubern und beschwören konnte sie nicht.
„Das kommt noch“, tröstete Annie sie. „Um die Kräfte der Finsternis zu entfesseln, braucht man eine gewisse Stärke und Reife. Ich bin sicher, daß du mich eines Tages weit übertreffen wirst, Erika.“
Erika saß allein bei Annie in der Wohnstube. Sie lutschte an einem Bonbon. Wieder war es draußen Frühling, grünten die Bäume und Büsche.
„Wie lange wird das dauern?“ wollte Erika verdrossen wissen.
„Das ist schwer zu sagen. Ich habe ein ganzes Leben gebraucht, um alles zu erlernen. Und ich habe oft und viel aus dem Born der dunklen Mächte getrunken.“
„Dem Born der dunklen Mächte? Was ist das?“
„Das kann ich dir jetzt nicht sagen, Erika. Dazu bist du noch zu jung.“
Einen Augenblick sah es aus, als wolle Erika einen Wutanfall bekommen. Aber dann schaltete sie um. Sie bettelte, flehte und
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