0800 - Das Orakel
konnte.
Der Reiter musste sie sehen. Nur kümmerte er sich weder um sie noch um die Waffe. Er behielt seine Haltung bei, was Jane ärgerte, denn dadurch verkleinerte sich das Ziel. Das Knochengesicht hätte sie hinter dem Visier nie getroffen.
»Komm doch!«, keuchte sie. »Verdammt noch mal, komm doch. Zeig dich! Ich will deine Fratze sehen!« Sie sprach mit sich selbst, aber der verfluchte Reiter hörte sie nicht oder wollte sie nicht hören.
Er vertraute auf sein Pferd, das, die Treppe vorsichtig hinter sich ließ, als hätte es Furcht davor auszurutschen.
Jedes Auftreten eines Hufs ließ Jane zusammenzucken. Das klopfende Geräusch erinnerte sie an das Schlagen ihres eigenen Herzens.
Mit jeder Stufe, die das Pferd hinter sich ließ, wurde ihr Schusswinkel ungünstiger. Sie würde warten müssen, bis der Gaul und sein Reiter die Treppe hinter sich gelassen hatten.
Sie wich zurück.
Sehr viel Platz hatte sie nicht, der Flur war einfach nicht lang genug. Jane bedauerte ihren Fehler noch mehr, Sarah Goldwyn nicht nach draußen geschafft zu haben. Aber warum auch? Der Reiter würde sich doch nur um sie kümmern wollen. Wenn sie jetzt das Haus verließ und ihn ins Freie lockte, war Sarah in Sicherheit.
Ein blitzartiger Gedanke, und sie war bereit, ihn auch in die Tat umzusetzen. Sie freute sich auch, nicht geschossen zu haben, das hätte ihn nur wütend gemacht und von seinem ursprünglichen Plan abgebracht.
Jane zog sich zurück.
Schritt für Schritt ging sie rückwärts. Es gab kein Hindernis, gegen das sie hätte stoßen können, bis zur Haustür hatte sie freie Bahn, und sie ging schneller, aber sie drehte sich nicht um, denn es konnte tödlich sein, dem Reiter den Rücken zuzuwenden.
Er und das Pferd hatten die Treppe jetzt überwunden. Für Jane hatte dies lange gedauert, obwohl tatsächlich nur wenig Zeit vergangen war. Aus dem Dachgeschoss strömte ihr noch immer der scharfe Geruch entgegen. Daran wollte sie jetzt nicht denken, als sie mit schnellen Schritten den Rest der Strecke zurücklegte.
Sie erreichte die Haustür, blieb dort für einen Moment stehen, die Hand auf die Klinke gelegt, und hatte den Kopf gedreht. Einen letzten Blick wollte sie der schrecklichen Gestalt auf dem schwarzen Pferd zuwerfen, die sich nicht rührte, aber ihren rechten Arm angehoben hatte, um die Lanze zu werfen.
Jane riss die Tür auf.
Es war die entscheidende Sekunde. Wenn der Reiter seine Waffe schleuderte, würde er auch treffen.
Die Detektivin spürte den kalten Luftschwall. Er kam ihr herrlich vor. Dann warf sie sich nach draußen, und die Haut auf ihrem Rücken zog sich dabei zusammen.
Sie schaffte es. Es war ihr auch egal, ob der Reiter die Lanze geschleudert hatte oder nicht, sie jedenfalls war ihm entkommen, der Tod hatte eine Pause eingelegt. Als Jane durch den Vorgarten lief, tanzten die Sträucher vor ihren Augen. Sie wollte den Gehsteig und dann die Straße erreichen, um sie zu überqueren. So weit wie möglich musste der Reiter vom Haus weggelockt werden.
Er blieb nicht, er kam.
Jane legte auf dem Gehsteig stehend eine Pause ein. Lady Sarah wohnte zwar in einer ruhigen Gegend, aber in keiner toten, auch hier befanden sich Fahrzeuge auf der Straße oder waren Menschen unterwegs.
Aber auch der Reiter.
Er gab nicht auf, denn Jane konnte erkennen, wie sich die Tür weiter öffnete.
Dabei fiel ihr ein Stein vom Herzen, weil der Reiter so reagiert hatte, wie es in ihren Plan passte. Er wollte sie verfolgen und sich nicht an Lady Sarah schadlos halten.
Das Pferd stand in der offenen Tür. Die Horror-Gestalt hockte geduckt auf dem Rücken. Noch hatte Jane die beiden nur gesehen. Sie stand direkt neben einem Baumstamm, glaubte sich in guter Deckung, doch da irrte sie sich.
Plötzlich riss der Horror-Reiter seinen Arm hoch. Die Lanze machte die Bewegung mit, und als sie ihren höchsten Punkt erreicht hatte, holte der Reiter aus.
Einen Moment später schleuderte er seine Waffe in Janes Richtung. Sie hatte damit rechnen müssen, dennoch war sie so überrascht, dass sie einen Schrei ausstieß. Für einen winzigen Moment war sie bewegungslos und schaute dabei wie hypnotisiert auf die Lanze , die urplötzlich zu einem Feuerstreifen wurde, bevor sie ihr Ziel erreichte.
Das war der Baum, neben dem Jane stand.
Sie hatte sich im letzten Augenblick zur Seite gedreht, befand sich noch in seiner unmittelbaren Nähe und bekam den wuchtigen Aufprall mit, als die Lanze in den Stamm hieb.
Jane spürte das Fremde, das
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