0806 - Die Hexe von Köln
Hund herein. Sein tiefes Grollen verhieß nichts Gutes.
***
Gewaltige Zähne kamen zum Vorschein, als der Hund das Maul aufriss. Er stank bestialisch. Sabber lief über seine zitternden Lefzen, und er scharte ungeduldig mit den Hinterbeinen.
Zamorra zuckte in dem kleinen Katzenkörper zusammen, als er das Lächeln in Samiras Gesicht sah. Offenbar hatte sie eine bessere Methode gefunden, als ihn selbst umzubringen. Sie versprach sich auch noch ein wenig Unterhaltung davon. Oder wollte sie ihn nur einschüchtern? Dazu gab es keinen Grund.
Wenn sie dachte, er verhielte sich still, täuschte sie sich gewaltig.
Zamorra schätzte seine Aussichten ab, die Kammer durch den Eingang wieder verlassen zu können, durch den er gekommen war. Sie waren minimal, weil er erst an dem Hund vorbei musste.
Also in die andere Richtung.
Er rannte los, so schnell ihn seine Pfoten trugen. Bedauernd dachte er an sein Amulett, das er zurücklassen musste. Er konnte es später rufen, doch vordringlicher war, am Leben zu bleiben und seine wahre Gestalt zurückzuerlangen. Er wagte gar nicht darüber nachzudenken, wie er das bewerkstelligen sollte.
Die Hexe stieß einen verärgerten Schrei aus, als er zwischen ihren Füßen hindurch floh. Er hatte einen schmalen Durchlass gesehen, eben breit genug, um einen schlanken Menschen passieren zu lassen. Madame Claire hätte auf keinen Fall hindurchgepasst. Zamorra türmte Hals über Kopf in die dahinter liegende Schwärze.
Zu seiner Überraschung konnte er in der Dunkelheit mühelos sehen. Also verfügte er nicht nur über einen Katzenkörper, sondern auch über deren Sinne, zumindest über einen Teil davon. Er lief einen engen Gang entlang, der in früheren Zeiten vielleicht einen versteckten Fluchtweg dargestellt hatte. Fluchtweg? Wozu? Natürlich - immerhin war Köln während seiner Geschichte mehrmals belagert und zu Teilen gar zerstört worden.
Zamorra verdrängte den Gedanken. Er hatte wahrlich andere Sorgen. Sie folgten ihm in Form eines angriffslustigen Bellens.
Als er sich umsah, entdeckte er seine Verfolger. Den Hund, den die Hexe ihm auf den Hals gehetzt hatte, und die schwarze Katze. Der Professor vermutete, dass es sich bei ihr um einen Familiaris handelte. Die meisten Hexen besaßen einen solchen Schutzgeist, der sich zumeist in Gestalt eines Raben, einer Katze oder eines Fantasiewesens präsentierte. Je mehr er darüber nachdachte, desto stärker kam er zu der Überzeugung, dass der Familiaris Merlins Stern außer Gefecht gesetzt hatte.
Hoffentlich lief er nicht geradewegs in eine Sackgasse. Zweifellos gab es hier unten zahlreiche verschlossene Türen, durch die die Hexe noch nicht gegangen war. Wenn er an eine von ihnen geriet, saß er in der Falle. An dem lauter werdenden Kläffen erkannte er, dass seine Verfolger aufholten.
Zum wiederholten Mal fragte sich Zamorra, wo Nicole war. Wenn sie keinen Anhaltspunkt über seinen Verbleib fand, blieb ihr nichts anderes übrig, als im Hotel nach ihm zu suchen. Also musste er zur Not in seiner Katzengestalt dorthin und ihr irgendwie klarmachen, was geschehen war. Vielleicht fand sie einen Weg für seine Rückverwandlung. Denn die Hexe dazu zu zwingen, war momentan absolut illusorisch.
Unvermittelt brach der Gang vor ihm ab. Schutt und Erdreich versperrten den Weg. Für einen Menschen wäre die Flucht zu Ende gewesen, aber in seiner neuen Gestalt benötigte Zamorra viel weniger Platz.
Er kletterte über eine Anhäufung uralter Ziegel und folgte dem Verlauf einer Rinne, durch die ein Wasser-Rinnsal floss. Zum Glück litt er nicht unter Platzangst, dennoch fühlte er sich mulmig. Wenn ihm jetzt eine Ratte begegnete, wurde es kritisch, und noch kritischer, wenn die Ratte ihre ganze Familie mitbrachte.
Darüber hinaus wirkte der Bereich, durch den er sich bewegte, nicht besonders vertrauenerweckend. Gestein und Erdreich gab unter seinen Pfoten nach und rieselte an der Aufschüttung hinab.
Ein paar Mal musste er Stellen ausweichen, an denen er nicht weiterkam, bis er einen fahlen Lichtschein erblickte. Zamorra beeilte sich, weil hinter ihm das Bellen und Knurren immer lauter wurde. Er wagte nicht, sich umzudrehen und nachzuschauen, wie weit seine mordlüsternen Verfolger noch hinter ihm waren.
Dann war eine unterirdische Mauer vor ihm.
Was er für Licht gehalten hatte, war nicht wirklich hell. Durch ein Loch sah er ins Freie hinaus. Dort herrschte zwar abendliche Dunkelheit, aber die war allemal heller als die totale Finsternis
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