0807 - Universität der Dämonen
ist er, für dämonische Verhältnisse, ein Nichts.«
Cora straffte sich. In ihrem Blick war nun nichts mehr von Bedauern oder Zurückhaltung zu erkennen. Da hatte jemand eine Entscheidung getroffen, das war für Zamorra eindeutig erkennbar.
»Aber Yrge ist ein Dämon. Er weiß - bewusst oder intuitiv - gewisse Dinge. Er kann gewisse Dinge. Ich kann mit mir, mit meinem Geist und meinem Körper mehr tun, habe größere Fähigkeiten, als wenn ich keinen Dämon in mir hätte, dem ich befehlen kann. Es ist natürlich Macht, Professor. Aber soll ich nach alledem, was geschehen ist, zur Tagesordnung übergehen? Soll ich es als bösen Albtraum abtun? Viele werden es so machen, aber sie müssen auch zurückkehren in eine normale menschliche Existenz. Ich muss das nicht. Ich werde es nicht. Ich bin jetzt mehr , für was das auch immer gut sein wird. Ich verschließe meine Augen nicht vor dem, was geschehen ist und ich will mehr davon verstehen und es nutzen.«
Zamorra. horchte auf. »Nutzen? Wozu?«
Cora zuckte mit den Schultern, für einen Augenblick kehrte jugendliche Unentschlossenheit in ihren Habitus zurück. »In erster Linie will ich verhindern, dass so etwas wieder geschieht. Nicht nur mit mir. Dass Dämonen auftauchen und menschliche Seelen wie menschliche Körper vergewaltigen. Das darf niemandem passieren, egal, wie ›böse‹ er oder sie selbst ist. Das gönne ich keinem Menschen!«
Zamorra wollte etwas antworten, dann aber hielt er sich zurück. In der Erwiderung der jungen Frau erkannte er sich plötzlich selbst wieder. Er erkannte den jungen Studenten Zamorra, der mit ganz anderen Zielen und Wünschen zu studieren begonnen und der schließlich einen unvorhergesehenen Lebensweg eingeschlagen hatte. Jemand, dem die Dinge nicht egal waren, die er erfahren hatte. Jemand, der sich kümmerte. Jemand, der eine Aufgabe in sich spürte und vor Verantwortung nicht zurück scheute. Was hätte er seinem jüngeren Ich denn damals gesagt, bei so einer Konversation? »Du bist ein Träumer, ein Wahnsinniger! Gib nicht alles auf für einen absurden Kampf gegen Windmühlenflügel!« - Nein, das bestimmt nicht!
Die akademische Halbwelt verblasste. Zamorra und Cora standen sich gegenüber im Auditorium Maximum der »realen« Vincent-Universität, umgeben von Menschen, die wie betäubt auf dem Boden saßen, einige weinend, andere glasig vor sich hin starrend. Unverständnis, Entsetzen, Erschrecken, völlige Verwirrung stand in ihre Züge geschrieben.
Cora hatte Recht: Alle diese Menschen benötigten etwas, um ihre Erfahrungen zu kompensieren. Cora nicht. Cora nahm ihre Erlebnisse an und hatte beschlossen, diese als Chance zu nutzen. Zu wachsen. Etwas zu werden. Jemand zu werden.
Zamorra nickte ihr zu. Es war nicht notwendig, mehr zu sagen.
Als das Jaulen von Krankenwagensirenen erklang, wandte er sich um und sah Schoenmeister ins Gesicht. Der Dämonenmensch hatte offenbar bereits erste konstruktive Entscheidungen getroffen und einen Notruf gemacht.
»Diese Menschen werden psychologische Betreuung benötigen«, sagte der Mann unaufgefordert. »Wie sollen wir das deklarieren? Eine Massenpsychose?«
Zamorra lächelte dünn. »Es gibt auch in Deutschland mittlerweile staatliche Stellen, die mit meiner Arbeit vertraut sind, Professor. Ich werde sie kontaktieren, und sie werden alles weitere veranlassen. Machen Sie sich da keine Sorgen.«
Schoenmeister nickte, wechselte einen Blick mit Cora. Da lag noch etwas auf seinem Herzen, und Zamorra ahnte, was es war.
»Nein!«, sagte er, ehe eine Frage gestellt wurde. »Nein, ich werde den Behörden nicht darüber berichten, dass ein Professor der Vincent-Universität eine Symbiose mit einem wissenschaftlich interessierten Dämon eingegangen ist. Nein, ich werde sie auch nicht darüber in Kenntnis setzen, dass ein Studentin derselben Universität nun einen Dämon in sich trägt und kontrolliert.«
Erleichterung zeichnete sich auf den Gesichtern der beiden Angesprochenen ab. Die Tatsache, dass Schoenmeister über die Nachricht, dass Cora Yrge unter Kontrolle hatte, kein sichtbares Entsetzen zeigte, bestätigte Zamorra in seiner Entscheidung, den Mann ungeschoren gelassen zu haben. Für Zarazz war ein schwacher und kontrollierbarer Dämon wie Yrge ohnehin nicht mehr als ein Stück Dreck. Nächstenliebe war unter den Höllenwesen nicht sonderlich weit verbreitet.
»Aber«, legte Zamorra sofort nach, »ich werde Sie im Auge behalten. Beide. Und ich habe meine Mittel und Wege, Ihre
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