0812 - Sarkanas Armee
vor die Rückwand auf den Boden. Seine Handflächen berührten die Stelle, an der die Kette in der Mauer verschwand. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten - der Organismus der Kammer folgte willig Dalius’ Bewegungen.
Wie viel Zeit vergangen war, konnte der Vampir nur ahnen, doch plötzlich endete der intensive Kontakt zwischen den beiden so unterschiedlichen Lebensformen abrupt. Die Fähigkeit der Verformung hatte offensichtlich ihre natürlichen Grenzen. Doch das Ergebnis war erstaunlich genug ausgefallen: Um das Kettenende herum war ein dicker Strang aus der Wand herausgewachsen, der nun annähernd einen halben Meter in den Raum ragte. Längst nicht genug, um Dalius an die Tür reichen zu lassen. Doch die zusätzlich gewonnene Bewegungsfreiheit reichte aus, um ihn an die Wand rechts neben ihm zu bringen. An genau die Stelle, die er zuvor schon intensiv betrachtet hatte.
Es war nicht das erste Mal, dass Dalius Laertes eine mehr als makabere Feststellung traf: Folterer, ganz gleich welcher Rasse sie angehörten, waren regelrecht pedantisch, wenn es um ihr Arbeitswerkzeug ging. Rostige Klingen, Blutflecken oder stumpf gewordene Schneiden würde man in Folterkellern kaum vorfinden. Hier war das nicht anders. Alles war vorhanden - vom chirurgischen Skalpell bis hin zum Heuer, mit dem Schlachter arbeiteten.
Laertes hob den Heuer aus seiner Verankerung heraus. Der kurze Holzgriff, die langgezogene Klinge, die einen rasiermesserscharfen Schliff aufwies - kein Fleisch, keine Sehnen, nicht einmal Knochen konnten diesem Beil widerstehen. Fest umklammerte der Vampir die Axt mit der linken Hand.
Sein rechtes Handgelenk, um das nach wie vor Sarkanas magische Kette geschlungen war, legte er auf den schartigen Hackklotz, der auf vier eisernen Beinen ruhte. Noch einmal versuchte Laertes seine Magie zum Einsatz zu bringen. Vielleicht war da ja doch soviel übrig, um sein eigenes Schmerzzentrum zu manipulieren, es für kurze Zeit zu überlisten.
Nach wenigen Sekunden brach er den Versuch ab.
Nichts - Sarkana hatte ganze Arbeit geleistet.
Dalius Laertes schloss für einen Augenblick die Augen. Er durfte jetzt nicht mehr zögern, sonst würde sein Verstand sich weigern, das zu tun, was unumgänglich schien.
Die stille Kammer schluckte Laertes’ wilden Kampschrei, den er ausstieß, als er den linken Arm in die Höhe riss und ihn mit all seiner Kraft wieder nach unten schnellen ließ.
Die Klinge traf perfekt - direkt hinter dem Handgelenk.
Dalius Laertes’ Wahrnehmung verwandelte sich in ein Meer aus Blut und Schmerzen…
***
Carmela sah schmunzelnd zu dem Mädchen, das sich ausgesprochen intensiv ihrem Frühstück widmete. Soweit sie wusste, war Mirjad circa 14 Jahre jung. Ein Alter also, in dem Heranwachsende oft einen erstaunlichen Appetit an den Tag legten.
Mirjad konnte sich den morgendlichen Kalorienschub allemal leisten, denn der Overall, den man ihr hier verpasst hatte, schlackerte nur so um ihren Körper herum. Bei ihren eigenen Sachen war das auch nicht anders gewesen.
Beinahe gierig stürzte Mirjad sich auf ihren fünften Toast, den sie dick mit Wurst belegt hatte. Als das Mädchen bemerkte, dass sie beobachtet wurde, setzte sie ein verlegenes Grinsen auf. »Entschuldigung, aber ich habe so einen mordsmäßigen Hunger. Aber wenn ich zuviel…«
Carmela winkte lächelnd ab und setzte sich zu dem Mädchen an den Tisch. »Du kannst noch viel mehr haben. Keine Sorge, Tendyke Industries wirst Du damit kaum ruinieren.« Die beiden lachten. Carmela gestand sich ein, bei der Kleinen tatsächlich so etwas wir mütterliche Gefühle zu empfinden. Sie selber war erst 25 Jahre alt. An eigene Kinder hatte sie bisher keine Gedanken verschwendet.
Niemand außer Robert-Tendyke selbst wusste, warum Carmela gerade hier arbeitete. Und mit hier meinte sie diese improvisierte Kantine. Sie kochte Kaffee, bereitete den Technikern die Menüs zu, die zu einhundert Prozent aus Tiefkühlkost bestanden. Nichts, was nicht auch von einer modernen Selbstbedienungskantine hätte erledigt werden können.
Am Geld hatte es ganz sicher nicht gelegen, dass Tendyke hier auf so eine Anlage verzichtet hatte. Er hatte andere Beweggründe.
Nirgendwo konnte man besser erfahren, wie es um die psychische Verfassung der Männer und Frauen bestellt war, die sich hier einer Extremsituation ausgesetzt sahen. Und niemand kitzelte diese Probleme besser heraus als die berühmte Frau hinter der Bar, die Wirtin hinter der Theke oder eben die
Weitere Kostenlose Bücher