0812 - Sarkanas Armee
freundliche Bedienung.
Carmela war eine auf diese und ähnliche Probleme spezialisierte Psychologin der Extraklasse -Tendyke hatte ihre Talente früh entdeckt und sie direkt von der Universität weg engagiert. Dieser Einsatz allerdings brachte Carmela an ihre eigenen psychischen Grenzen. Das Wesen, um das sich hier alles drehte, sprengte die Vorstellungskraft der jungen Frau und brachte ihr Weltbild ins Wanken. Und wenn es ihr so erging, dann waren extreme Reaktionen im Nervenkostüm der Tendyke Industries- Leute erst recht nicht auszuschließen. Früherkennung war dringend notwendig, ehe jemand auszurasten drohte.
Mirjad schüttete sich Kaffee nach. In einer mütterlichen Anwandlung hatte Carmela der Kleinen Kakao und heiße Milch angeboten, doch das Mädchen von Korsika hatte sie nur unverständig angesehen. Sie trank Kaffee - möglichst stark und möglichst pechschwarz.
Carmela startete einen Versuch, sich in Mirjads Gefühlsleben vorzutasten.
»Hat man dich eigentlich gefragt, ob du wieder nach Hause gebracht werden möchtest?«
Zwischen zwei Bissen von Toastscheibe Nummer sechs antwortete Mirjad. »Ich gehe erst weg, wenn ich weiß, was aus Khira wird. Vielleicht kann ich ihr hier ja noch irgendwie helfen.«
»Aber du wirst dir doch keine Vorwürfe machen, oder? Du hast mir doch selbst erzählt, dass du nicht eingreifen konntest, als dieses… Monstrum Khira zu sich rief.« Carmela musste sehr vorsichtig vorgehen, denn die Psyche einer Vierzehnjährigen war ein überaus verzwicktes und empfindliches Gebilde.
Mirjads Reaktion erstaunte sie sehr. Das Mädchen griff in eine der Werkzeugtaschen ihres Overalls und zog einen etwa 30 Zentimeter messenden Stock hervor, an dessen Enden sich Metallbeschläge befanden. Mit einer geübten Bewegung legte Mirjad einen Sicherungshebel um, und eine Klinge der gleichen Länge schnellte aus dem Stock hervor, der nichts anderes als ein reichlich überdimensionales Klappmesser war. In der Hand des Mädchens wirkte es wie ein Schwert.
»Ich werde Khira beschützen - oder das, was sie jetzt ist. Zamorra und die anderen suchen einen Weg, ihr zu helfen. Aber ich werde hier sitzen und Khira den Rücken freihalten.« Mit ernstem Blick sah sie Carmela an. »Morano, Sarkana oder wer auch immer - wenn sie Khira wollen, müssen sie erst an mir vorbei.«
Carmela hatte begriffen. Mirjad war kein Kind mehr. Vielleicht hatte sie niemals eines sein dürfen. Die Psychologin wusste nicht exakt, wer Sarkana oder Morano waren, doch die beiden sollten sich vor der jungen Frau hüten. Sie war eine absolut ernst zu nehmende Gegnerin.
Carmela erhob sich. Mirjad beschäftigte sich längst wieder mit ihrem Frühstück. Als die Psychologin sich vom Tisch entfernte, hörte sie die Stimme des Mädchens hinter sich.
»Wenn sie kommen, Carmela, dann lauf. Lauf um dein Leben. Kümmere dich nicht um mich oder die anderen. Und sie werden kommen. Ich kann sie beinahe schon riechen…«
Später sah Carmela Mirjad an einem Fenster stehen. Angestrengt starrte sie hinaus, lauernd, forschend - wie ein Raubtier, das auf den Angriff eines fremden Rudels wartete.
Carmela beschloss, das korsische Mädchen nicht mehr aus den Augen zu lassen.
***
Niemand schränkte Mirjads Bewegungsfreiheit innerhalb der Anlage ein.
Zamorra und seine Partnerin, van Zant und Tendyke kamen den ganzen Tag nicht aus der trapezförmigen Halle heraus, in der sie das Zwitterwesen gefangen hielten. Mirjad hatte nicht die geringste Ahnung, was für einen Plan sie verfolgten. Niemand hatte auch nur ein Wort darüber an sie verloren. Sie alle waren äußerst freundlich zu der kleinen Korsin, doch ansonsten ließ man sie in Ruhe. Ja, man ignorierte sie regelrecht.
Mirjad war deshalb jedoch nicht böse oder beleidigt. Im Gegenteil. Was in dieser Halle geschah, hätte sie ganz sicher nicht verstanden. Die wenigen Wortfetzen, die sie von den Gesprächen zwischen Zamorra und van Zant aufgeschnappt hatte, bewiesen es ihr. Dimensionen, Gefüge… wechselnde Gravitationsfelder…
Mirjad hatte ganze fünf Schuljahre hinter sich gebracht, denn nachdem Tan Morano die Macht in ihrem Dorf und dessen Umgebung übernommen hatte, war alles anders geworden. Niemand interessierte sich dafür, ob die Kinder ihrer Schulpflicht nachkamen. Und der Lehrer der winzigen Schule war eines der ersten Opfer von Moranos Vampiren geworden.
Mirj ad war alles andere als dumm -und ihre angeborene Neugier war ihr oft eine gute Lehrerin gewesen. Wenn auch eine
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