0813 - Warten auf den Todesstoß
fürchterlicher Anblick. Arme und Beine erinnerten mich an trockene Äste.
Er hatte also im Kamin geklemmt. Irgendjemand musste ihn da hineingedrückt haben. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er diesen Weg freiwillig gegangen war.
Aber wer, zum Henker, hatte das getan?
Die Frau mit dem Messer?
Ich drehte mich um.
Die Tür lag verlassen da. Conlon hatte es vorgezogen, sich zurückzuziehen. Er konnte nicht immer ausweichen. Irgendwann musste er die Leiche identifizieren. Auch wenn sie verwest war, würde er seinen Kameraden Earl Taggert sicherlich erkennen.
Wieder trat ich an den Kamin heran. Diesmal war ich vorsichtiger, ich wollte auch nicht mehr in die Höhe leuchten und irgendwelche Fledermäuse erschrecken.
Der alte Trichter schwebte über mir wie ein unheimliches Dach. Es schien leicht zu zittern, aber das konnte ich mir auch einbilden.
Klatsch!
Ein Geräusch irritierte mich.
Regnete es?
Nein.
Klatsch!
Schon wieder dieser Laut. Ich schaute schräg gegen die Decke.
Okay sie wies einige Löcher auf, aber das konnte es nicht gewesen sein. Dieses Geräusch hatte einen anderen Grund gehabt. Kein Regen, und dennoch ein Tropfen.
Ich streckte meinen rechten Arm vor.
Da erwischte es mein Gelenk. Von oben herab war der Tropfen gefallen, kein Wasser, sondern Blut.
Für einen Moment schloss ich die Augen. Was immer das bedeuten mochte, ich merkte allmählich, wie sich das Netz zuzog. Man spielte mit mir. Vielleicht war es auch mein Blut, das irgendwelchen Fledermäusen aus dem Maul getropft war.
Nein, diese Möglichkeit erschien mir unwahrscheinlich. Und der nächste Tropfen fiel.
Er zerplatzte dicht vor meinen Fußspitzen. Zugleich mit ihm hörte ich das Kichern einer Frauenstimme, etwas rumpelte über mir, ich zuckte zurück, weil ich wieder mit einigen Fledermäusen rechnete, die durch den Kamin rutschten.
Sie waren es nicht.
Es war auch kein Mensch.
Was da durch den Kamin gefallen und vor meinen Füßen gelandet war, musste einmal ein Fuchs gewesen sein. Für mich nur schwer zu erkennen, denn der Körper war durch zahlreiche Messerstiche regelrecht zerfetzt worden…
***
Die Überraschungen rissen nicht ab. Der Fuchs war nicht von allein durch den Kamin gerutscht. Jemand musste ihn entsprechend angestoßen haben.
Wer?
Meine Kehle war fast ausgetrocknet. Die Schultern kamen mir vereist vor, und ich dachte daran, dass ich eigentlich nur nach draußen laufen musste, um die Person zu entdecken. Der Kamin endete auf dem Dach. Dort hockte sie bestimmt.
Tatsächlich eine Sie? Die Frau mit dem Messer, die Mörderin, die alles aus dem Weg räumte, was ihr nicht passte. Die auch dem Toten den Kopf abgeschnitten hatte?
»Hallooo…«
Ich war auf einiges vorbereitet gewesen, diese Stimme jedoch ließ mich zusammenzucken. Sie klang nicht normal, sie war durch den Kamin gekommen, und sie hatte dabei ein hohles Echo erzeugt, als hätte sie ihren Ursprung in einer tiefen Gruft gehabt.
Ich schloss für einen Moment die Augen, ging etwas zurück und wartete. Einer Täuschung war ich nicht erlegen. Der Wind wehte nicht so stark, um in den Kamin eindringen zu können. Oft genug erzeugte er jammernde Geräusche, die sich beinahe anhörten wie Worte oder Sätze. Hier war das nicht der Fall. Jemand hatte mit mir gesprochen. Es war eine Frau gewesen.
Conlon hatte sich noch nicht hergetraut. Nach wie vor stand ich allein in diesem ehemaligen Warteraum – und ließ mich abermals durch ein Lachen erschrecken.
Hämisch, auch widerlich, gleichzeitig verändert und verzerrt, schrammte es durch die Öffnung. Ein böses Omen, das die Fledermäuse nicht störte. Sie blieben ruhig.
Ebenso handelte auch ich. Ich wollte die andere Person aus der Reserve locken. Sie hatte sich nicht grundlos gemeldet, denn sie wollte den Kontakt.
»Hast du den Fuchs gesehen…?«
Aha, sie wollte mehr. Es war ein Plan, den sie erfüllen musste, und sie wartete auf eine Antwort.
Ich hielt mich zurück.
»Der Fuchs ist tot, ich habe ihn aufgeschlitzt. Ich habe ihn mit meinem Messer traktiert. Ich werde weitermachen, verstehst du? Jetzt kann mich keiner mehr stoppen…«
Sie redete weiter, während ich mich bereits auf dem Weg nach draußen befand. Ihre Stimme verhallte wie die bösartigen Versprechungen einer Märchenhexe in meinem Rücken.
Auf dem Bahnsteig blieb ich für einen Moment stehen. Die Szenerie hatte sich leicht verändert. Es war dunstiger geworden. Vom Sumpf her krochen die dünnen Schwaden heran.
Auf leisen Sohlen
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