0813 - Warten auf den Todesstoß
nach.
Dann sagte sie mit lauter Stimme: »Sein Name ist Gesetz. Er ist der König, er ist ein Mächtiger. Er ist ein Engel des Bösen. Einer, der Erbarmen mir gegenüber gezeigt hat. Er ist es, dem ich alles verdanke. Der wahre Herrscher. Einer, der kommt und geht, der liebt und rächt.«
»Hat er einen Namen?«, schrie ich.
»Ja!«, brüllte sie zurück. »Er hat einen Namen, der die Welt erschüttert. Der schwarze, der böse Engel. Er heißt Massago!«
***
Ich rührte mich nicht. Mit allem hatte ich gerechnet. Sie hätte den Teufel, sie hätte Luzifer, sie hätte sagen können, was auch immer, aber ausgerechnet Massago, das war zu viel.
Erinnerungen durchfluteten mich.
Jahre zurück.
Viele Jahre…
Massago!
Etwas wühlte in mir hoch. Zweimal hatte ich ihn damals gesehen.
Zweimal war er mir entkommen. Er gehörte zu den bösen Engeln, er war so etwas wie ein Urgeschöpf, möglicherweise auch eine Kreatur der Finsternis, so genau wusste ich das nicht. Aber ich hatte seinen Namen all die Jahre nicht vergessen, weil er eben so schrecklich böse war, und diese dämonische Triebhaftigkeit leider nicht für sich behielt, sondern sie immer wieder auf seine Diener übertrug.
Zweimal hatte ich das mitgemacht und beide Male den Kürzeren gezogen. Massago war nicht tot, er geisterte noch immer durch sein Reich, um eine Stippvisite in anderen Welten zu machen. Er suchte und fand seine Opfer, und ich wusste, dass diese junge Frau dort auf dem Dach von seinem Geist beseelt war.
Keine Chance, ihr wieder ein normales Leben zu geben. Was Massago besaß, ließ er nie wieder los. Darin war er konsequent. Erinnerungen stürmten auf mich ein. Sekundenschnell huschten die Bilder an meinen Augen vorbei.
Das Waisenhaus, die alte Frau, die von Massagos Geist beseelt war. Mickey Mayer, der Junge, aber auch Alan Bates, der Bruder einer jungen Schauspielerin.
Seltsam, dass ich mich nach dieser langen Zeit noch an die Namen erinnerte. Es mochte daran liegen, dass Fälle mit Massago nie richtig gelöst worden waren und sich mein Unterbewusstsein oft genug damit beschäftigt hatte.
Nun war er wieder da.
Nicht als Person, sondern in einer anderen Form. Er hatte Lorna Löhndorf beseelt, und er würde niemals auch nur einen Schritt zurückweichen, das wusste ich.
Damals, bei den ersten Begegnungen, hatte ich noch am Beginn meiner Karriere gestanden. Mittlerweile hatte ich dazugelernt und konnte hoffen, ihm ebenbürtig zu sein, vorausgesetzt, er zeigte sich mir und verließ sich nicht wieder nur auf seine Diener.
»Hat es dir die Sprache verschlagen?«, höhnte Lorna.
»Nein, gewiss nicht. Ich dachte nur nach, was Massago mit dir tat.«
»Er rettete mich. Er gab mir das Leben zurück. Die Vergessene konnte wiederkehren.«
»Und wo war sie?«
»Hier – immer hier.«
»Im Bahnhof!«
»Jaaaa…« Sie lachte und drehte das Messer so, dass die Klinge funkelte. »Ich habe mir meine Opfer geholt. Hin und wieder kamen Menschen, sie wollten sich hier umschauen. Sie fanden ihn toll, den alten Bahnhof. Verlassen und wunderbar. Sogar Mutproben wurden durchgeführt. Man übernachtete hier. Nicht alle wachten am Morgen auf. Hin und wieder lag einer in seinem Blut …« Sie konnte sich kaum halten vor Lachen. »Es war wunderbar. Ich bin ihm so dankbar, und ich möchte einer Person zeigen, dass ich noch lebe.«
»Mir?«
»Nein, einer Frau. Sie ist alt, schon sehr alt. Als man mich vergaß, habe ich sie schon als alt angesehen. Jetzt ist sie über neunzig Jahre, glaube ich. Sie wird kommen. In den nächsten Minuten kann sie hier eintreffen, denn sie hat meine Nachricht erhalten. Da wird sie den Schreck ihres Lebens bekommen haben. Aber ich kenne ihre Neugierde. Sie wird größer sein als die Angst. Dann werde ich plötzlich vor ihr stehen. Nicht um dreißig Jahre älter, sondern noch immer wie damals.« Sie küsste die Klinge. »Nur habe ich diesmal mein Messer. Ich werde ihr den toten Fuchs zeigen, damit sie erkennt, welches Schicksal ihr bevorsteht. Allen wird es so ergehen. Allen…«
»Versuche es bei mir!«, rief ich.
Es war beileibe keine Überheblichkeit, dass ich sie aufforderte. Es hatte einen konkreten Grund. Während unseres Gesprächs war es mir gelungen, die Kette vom Hals zu streifen. An ihr hing das Kreuz, und das wiederum war meine stärkste Waffe gegen die Mächte der Finsternis.
»Du bist gefährlich.«
»Probiere es aus, Lorna. Oder hältst du dich nicht mehr für unbesiegbar, wo Massago dich doch
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