0813 - Warten auf den Todesstoß
oder?«
»Ich weiß nicht genau, was das war. Das können seine Schreie gewesen sein, aber auch die der Frau. Meine Erinnerung…«
»… müssen wir auffrischen.«
»Und wo?«
Ich deutete auf das alte Stationsgebäude. »Wir stehen erst am Beginn, mein Lieber. Noch ist es so hell, dass wir den Bau ohne fremde Lichtquellen durchsuchen können. Kommen Sie, wir fangen an. Vier Augen sehen mehr als zwei.«
Begeistert war der Sergeant von meinem Vorschlag nicht. Er schlich neben mir her, als würde er jeden Moment eine Tracht Prügel erwarten. Ich war ebenfalls vorsichtig und blickte auch zurück, bevor ich das Gebäude betrat.
Nichts war zu sehen. Die Einsamkeit lag wie ein großes unsichtbares Tuch über dem Gelände. In der Ferne bildete sich der erste Dunst. Da krochen die feinen Wolken und Schleier wie Totengewänder aus dem Moor und würden irgendwann weitergetrieben.
Wir standen wieder zusammen. Conlon deutete auf die dunklen Körper der toten Fledermäuse. Ich hatte sie hart erwischt und auch zertrampelt. Wie flache Ölflecken lagen die Dinger verstreut. »Da haben Sie ja aufgeräumt, Mister Sinclair.«
»Es hätten noch mehr werden können.«
»Ja, ich weiß, aber ich war eben zu feige und bin verschwunden. Das tut kein Soldat.«
»So habe ich das nicht gemeint. Vielleicht haben Sie schon mehr Mut bewiesen, als viele andere es in Ihrer Lage getan hätten. Lassen wir das Thema.«
»Wo sollen wir denn mit der Suche beginnen?«
»Getrennt«, sagte ich.
»Wieso getrennt…?«
»Hören Sie, Vinc. Sie nehmen sich den Teil des Gebäudes vor, in dem einmal die Karten verkauft wurden. Ich bleibe hier und schaue mich um. Irgendwo muss er ja zu finden sein. Wenn nicht hier, machen wir draußen weiter.«
Es passte ihm nicht. Ich wusste nicht, was ich falsch gemacht hatte.
An mir konnte es nicht liegen, dass er sich so seltsam benahm. Er war so blass geworden, er schluckte, er schüttelte den Kopf, dann öffnete er den Mund und rang nach Luft.
»Was haben Sie?«
»Das… das gehört doch nicht hierher …«
Bisher hatte ich nicht gewusst, was er damit meinte. Er presste eine Hand auf den Mund, um ein Würgen zu unterdrücken.
Der Gegenstand lag im Schatten. Er sah aus, als wäre er vom Himmel gefallen. Daran glaubte ich wiederum nicht, er stammte wohl eher aus dem Kamin.
Jedenfalls hatte der Gegenstand vorher noch nicht dort gelegen.
Und als halb verwester Schädel bot er wirklich keinen schönen Anblick…
***
Haare wie Draht. Das Fleisch fehlte an zahlreichen Stellen. Die Augen lagen in den Höhlen wie eine weißgraue, rieselige Masse. Die Reste der Haut sahen aschgrau aus, wirklich kein Anblick, mit dem ich mich näher beschäftigen wollte. In diesem Fall musste ich es, weil ich gern die Todesursache festgestellt hätte.
Ich bückte mich.
Der Mund stand offen. Lippen gab es keine mehr. Dafür sah ich in der Öffnung einen dunklen Kloß – die Zunge.
Dann schaute ich mir das an, was von seinem Hals übrig geblieben war. Ein Vergnügen war es nicht, doch ich sah das, was ich hatte sehen wollen. So etwas wie eine Schnittstelle, hinterlassen von einem scharfen Gegenstand, einem Schwert oder einem Messer, aber das wusste ich nicht genau.
Der Sergeant rannte weg. Es war still in meiner Umgebung. Ich hörte Conlon draußen würgen, und auch mein Magen war von dem Geruch nicht gerade angetan.
Diesen Kopf hatte jemand vom Rumpf abgeschnitten. Eine andere Möglichkeit gab es da nicht. Wenn ich an die Beschreibung dachte, die mir Conlon geliefert hatte, dann musste es die Frau mit dem Messer gewesen sein. Ich richtete mich wieder auf, die Gänsehaut blieb auf meinem Rücken. Sie störte mich bei meinen Überlegungen nicht, denn ich dachte dabei über den Schädel nach.
Er war da. Er lag sichtbar vor mir. Vor einigen Minuten hatte er hier noch nicht gelegen. Er musste also von irgendwoher gekommen sein. Dass ihn jemand auf diesen Platz gelegt hatte, daran wollte ich nicht glauben. Welche Möglichkeiten gab es?
Im Prinzip nur die eine. Der Kamin!
Ich hatte die Fledermäuse aufgeschreckt. Durch ihre hastigen Bewegungen im Kamin musste sich der Schädel gelöst haben, der dort eingeklemmt gewesen war.
Wieder nahm ich meine Lampe zu Hilfe und leuchtete den Boden ab, als ich vorging, dann schwenkte ich den Strahl, und meine Vermutung wurde bestätigt.
Es war nicht nur der Kopf aus dem Kamin gerutscht, etwas weiter entfernt lag auch der Körper.
Verwest, fast wie angeknabbert wirkend, blutleer, ein
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