0814 - Mister Amok
angewinkelt. Sie hörte sich atmen. Das Wasser klatschte auf ihren Körper, die Wehen nahmen ständig zu. Amy weinte, sie dachte an die Kinder, sie dachte an den Tod, und sie faltete über ihrem Bauch die Hände zum Gebet.
Aus aufgerissenen Augen starrte sie zum Himmel, aus dem das Wasser noch immer sturzflutartig auf die einsame Frau niederpeitschte.
»Lieber Gott, wenn es dich gibt, dann bitte hilf mir! Nicht wegen mir, wegen der Kinder. Du hast die Menschen nach deinem Ebenbild geschaffen, deshalb nimm sie unter deinen Schutz. Lass sie groß werden. Mögen sie wachsen undzu anständigen, dir gefälligen Menschen werden. Bitte, lieber Gott, bitte…«
Der liebe Gott meldete sich nicht. Nur der Regen rauschte als kalte Sturmflut herab. Er peitschte und hämmerte auf sie nieder, als wollte er sie wegschwemmen.
Für sie bestanden die Tropfen aus zahlreichen Perlen, die von unzähligen Engeln wegen ihr vergossen wurden. Amy lag auf der nassen Straße, sie merkte, dass sich allmählich ihr Bewusstsein verlor.
Das klare Denken wollte verschwinden. Die Wehen kamen weiterhin. Manchmal spürte sie Hände, die sie vom Boden anhoben und wegtrugen. Hatte der liebe Gott doch seine Engel geschickt, damit diese sich um sie kümmerten.
»Ruhig, ruhig, ruhig… es wird alles gut werden. Du musst nur liegen bleiben.«
Die Stimme! Wo kam die Stimme her? Bildete Amy sie sich ein?
Eine Frau hatte gesprochen, als wäre sie so plötzlich auf der Straße erschienen wie ein Geist. Ein Engel, der vom Himmel gefallen war und nun vor ihr stand. Amy konnte es nicht glauben. Da vermischten sich Wunschträume und die Fantasie miteinander. Es gab keine Rettung, hier kam niemand vorbei. Nicht in dieser schrecklichen Nacht, die von einem Unwetter beherrscht wurde. Da schickte auch der Herrgott keinen Engel, nein, das stimmte alles nicht.
Und doch war das Gesicht da. Es schwebte über ihr. Sie erkannte es genau. Es war das Gesicht einer Frau, ihr unbekannt. Nie zuvor hatte sie die Person gesehen.
Amy mochte es nicht. Vielleicht deshalb, weil der Mund so grinste und in den Augen ein höhnisches Funkeln lag. Angst schnürte ihr die Kehle zusammen. Sie konnte nicht sprechen, zudemkehrten die Wehen so schlimm zurück wie nie.
Amy schrie, sie bäumte sich auf.
Zwei kalte Hände drückten sie wieder zurück. »Wir schaffen es, meine Liebe, wir schaffen es. Keine Sorge, es wird alles gut… alles…«
***
Was dann geschah, daran konnte sich Amy Lester nur mehr stückweise erinnern. Ihr Körper reagierte wie ein Automat. Sie sah nichts, aber sie wusste, dass sie auf dieser regennassen Straße Kinder gebar.
Über ihr wütete der Sturm, der Regen peitschte auf sie nieder, er machte sie nass, aber Amy merkte davon nichts.
Eine andere Kraft war gnädig genug gewesen, sie einfach wegzutragen. Fort von hier, hinein in andere Welten, in Zwischenreiche fern jeglicher Wahrnehmungskraft.
Manchmal hörte sie einen Kommentar, konnte ihn aber nicht verstehen, weil die Person so leise sprach. Es war noch immer die Frau, die bei ihr war, als wäre sie eine Hebamme.
Amy wusste nicht, ob sie tot war oder lebte. Vielleicht befand sie sich auch in einem Zwischenreich, aus dem sie immer wieder zurück ins Leben schaute.
Sie floss davon.
Sie wollte nichts mehr hören, sehen, sie wollte nur noch vergessen, das war alles.
Auch irgendwann das Licht, die vielen Stimmen, den blauen Schimmer, der durch den Regen glitt.
Irgendwann war dies alles verschwunden. Amy spürte keine Nässe mehr, der Regen hatte gestoppt, die dunklen Wolken waren leer.
Nichts gab es mehr zu fühlen, zu erleben.
Nur noch die Tiefe des Schlafs…
***
Zwei Wochen später!
Amy Lester war aufgestanden und war denselben Weg gegangen wie immer. Aus dem Krankenbett, das in einem Einzelzimmer stand, bis hin zum Fenster. Sie schaute durch die Scheibe in den Garten des Krankenhauses, und die Gedanken kehrten zurück. Alle im Krankenhaus – ob Schwester oder Ärzte – konnten nicht begreifen, dass die Patientin noch am Leben war. Für sie war es ein medizinisches Wunder, für einige aus dem Personal hatte der Herrgott seine schützende Hand über Amy Lester gehalten.
Nicht über Sam.
Niemand hatte es ihr so recht sagen wollen, doch sie spürte, dass Sam nicht mehr lebte. Er war tot, er würde nie, nie mehr zurückkehren, es gab ihn nicht mehr.
Aber es gab jemand anderen.
Ein Baby, ein Junge. Gesund sogar. Amy hatte ihn in den Armen gehalten. Nur einmal, aber dies hatte ihr die nötige
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