0818 - Lilith, der Teufel und ich
Gedanken versunken war, denn ich dachte daran, was hinter mir lag. Es war ein Fall, mit dem ich nicht zurechtkam und auf den mich eigentlich der Teufel gebracht hatte. Er und ich hatten uns in London getroffen, und dort, am Ufer der Themse, hatte ich zum ersten Malvon einem Gegenstand gehört, der Luzifers Tränenbecher genannt wurde. Asmodis wollte, dass ich mich darum kümmerte und dafür Sorge trug, dass er den Becher bekam, denn eine solche Aktion traute er sich nicht zu.
Ich lehnte ab, wollte alles vergessen, bis mich dann der Anruf des Kommissars aus Leipzig erreichte. Harry Stahl berichtete von einer ungewöhnlichen Frau, in deren Besitz sich Luzifers Tränenbecher befand. Und er sagte mir zudem, dass er meinen Dolch gesehen hätte, den ich so schmerzlich vermisste.
Hier waren aus verschiedenen Richtungen Fäden zusammengelaufen, die sich in Deutschland, in Leipzig, miteinander verknüpften. Für mich hatte es kein Halten mehr gegeben. Suko und ich flogen nach Germany, und ich musste mit einem Erlebnis fertig werden, das mich auch jetzt noch ungemein stark beschäftigte.
Ich hatte Harry Stahl als Killer erlebt, Suko hatte mich niedergeschlagen, und ich hatte nichts gegen die Flucht der beiden unternehmen können.
Wie war es dazu gekommen?
Ich schob es nicht allein auf Luzifers Tränenbecher, sondern auf die Person, in deren Besitz er sich befand. Die Frau hieß Isabell Munro, aber das war nur ein Tarnname. Tatsächlich war sie Lilith, eine uralte Dämonin, die erste Hure des Himmels, und sie hatte damals, zu Beginn der Zeiten, den Becher mit den Tränen Luzifers gefüllt. Was mit diesem Gefäß in dieser gewaltigen Zwischenzeit geschehen war, wusste ich nicht. Er war jedenfalls verschwunden gewesen und jetzt wieder aufgetaucht, und es hatte nichts von seiner Gefährlichkeit verloren. Nur durch seine Magie war Suko und der Kommissar so verändert worden. Die eigenen Kollegenhatten Harry Stahl als Mörder suchen müssen.
Es war sofort eine Großfahndung ausgerufen worden, die nichts eingebracht hatte. Ich war in mein Hotel gegangen, weil ich überlegen wollte, wie es nun weiterlaufen sollte. Dort hatte mich auch der Anruf Kommissar Gerickes erreicht.
Harry Stahl war festgenommen worden. In seinem Büro, an seinem Arbeitsplatz.
Für mich unbegreiflich und unverständlich, aber ich war sofort losgefahren, um mehr zu erfahren.
Klar, dass man ihn nicht in seinem Büro gelassen hatte. Der Kommissar wurde in eine Zelle im Keller eingesperrt. Man hatte ihn vorerst in Ruhe gelassen und nicht verhört, was ich gut fand, denn ich wollte zunächst mit ihm sprechen.
Glücklicherweise hatte ich in Kommissar Gericke einen vertrauenswürdigen und guten Partner, der auch über meinen Job Bescheid wusste, denn nicht zum ersten Mal befand ich mich in Leipzig, um einen Fall zu lösen. Ich hatte den Leichenfürst von Leipzig erledigt und auch den Ghoul aus dem Gully, dieser neue Fall aber sah komplizierter aus als die beiden anderen zuvor.
Ludwig Gericke stellte die gefüllte Tasse auf den Schreibtisch, an dem ich saß.
»Danke, Herr Gericke.«
»Schon gut.« Er nahm mir gegenüber Platz. Wir tranken beide, und ich sah, wie der Kommissar seine Stirn in Falten legte und dabei tief durchatmete. »Mögen Sie Rätsel, Mr. Sinclair?«
»Nicht sehr.«
»Ich auch nicht. Nur haben wir immer das Pech, mit Rätseln konfrontiert zu werden.« Hinter den Gläsern der Brille bewegten sich seine Augen. Sie wirkten sehr groß in dem schmalen Gesicht. »Ich befürchte, dass wir uns an diesem Rätsel die Zähne ausbeißen werden. Bei meinen bisherigen Fällen habe ich immer ein Motiv gefunden. Das war früher im Westen so, das ist auch heute so hier in Leipzig. Die Menschen sind alle gleich. Sie begehen schreckliche Taten, deren Motive oft sehr tief in ihrem Seelenleben verborgen liegt. Sie wissen, auf was ich hinauswill?«
»Natürlich. Sie vermissen bei Ihrem Kollegen das Motiv.«
Er nickte. »Genau das ist der springende Punkt. Da bringt Harry einen Menschen durch einen Schuss in den Kopf um und fährt in sein Büro, um sich dort hinter den Schreibtisch zu setzen, als wäre nichts geschehen. Verdammt noch mal, das will mir einfach nicht in den Kopf. Das wirft bei mir alles durcheinander.«
»Kann ich mir denken.«
»Und was sagen Sie dazu?«
»Ich weiß es auch nicht. Wir müssen Harry fragen.«
»Klar müssen wir das. Zuvor jedoch möchte ich eine Strategie festlegen, denn ich möchte nicht wie ein Dummkopf vor ihm stehen.
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