0818 - Lilith, der Teufel und ich
gehört, wie ich mich meldete? Das Rollen der Kugeln, den leisen Gruß der Tränen, der für dich wie eine wunderbare Musik sein muss? Denn du hast dein Eintrittsgeld für Luzifer bereits bezahlt, mein Lieber. Du bist hineingetaucht in seine dunkle Welt. Du hast deine Waffe genommen und einen Mann erschossen. Einfach so. Nur auf den Hinterkopf gehalten und abgedrückt.«
Harry Stahl wusste, was er getan hatte. Die Frau war mächtig. Sie schaffte es bei ihm allein durch ihre Worte, ein Bild zu zaubern, das sich vor seinem geistigen Auge aufbaute.
Es war die Szene im Hof. Er sah sich selbst, er sah die anderen, und er sah sich seine Waffe ziehen und die Kugel in den Hinterkopf des anderen jagen.
Hitzeschauer durchwühlten ihn. »Nein, nein… ich … ich … wollte das einfach nicht.«
»Doch du musstest es tun.«
»Ich wollte… ich bin kein Mörder!«
Isabell Munro lächelte wissend. »Die Menschen denken bereits anders darüber.«
»Sollen sie doch, aber ich…«
»Bitte!« Sie drängte ihn. Ihre Augen funkelten. Bilder schienen sich in den Pupillen festzusetzen, und Harry war gezwungen, hineinzuschauen. Er glaubte, das Feuer der Hölle darin zu sehen. Ein kaltes grausames Feuer, gebildet aus tanzenden Flammen, die nicht aus Wärme, sondern aus Eis zu bestehen schienen, und er hörte gleichzeitig wieder das ihm so bekannte Geräusch.
Die Tränen bewegten sich. Sie rollten klackernd über den Boden, und diese Laute lenkten ihn ab.
Zuerst waren sie in dieser Zelle noch unsichtbar gewesen, dann hatten sie sich aus dieser Ebene gelöst und waren wie schaumige Streifen über den Boden gelaufen, nun aber hatten sie ihre Farbe abermals verändert, denn sie waren zu roten Perlen geworden, als wäre Blut aus den Augen der Frau getropft.
Harry wusste nicht, wohin er schauen sollte. Gegen die Tränen oder gegen Isabell Munro, denn sie stand inmitten dieses Wirrwarrs und hielt den Blick gesenkt.
Die rollenden Kugeln zeichneten ein Muster um die Frau, das aus Linien, Streifen, Ecken und auch Winkeln bestand. Immer neue Figuren entstanden, mit denen der Kommissar nichts anfangen konnte. Geheimnisvolle Zeichen aus einer uralten Welt oder Zeit, Rätsel, die ihm Furcht einjagten und ihn zugleich faszinierten.
Urplötzlich veränderte sich die Frau. Es begann mit dem Hochsteigen der Perlen. In Halbbögen schossen sie vom Boden in die Höhe und hatten auch ihre rote Farbe verloren. Sie sahen wieder gläsern und klar aus, wie übergroße Regentropfen, die eine unsichtbare Hand in den Raum hineingeschleudert hatte, um sie von Isabell Munro auffangen zu lassen. Der Reihe nach landeten sie in ihren Handflächen, die Isabell blitzschnell schloss und sich dann drehte.
Das Licht strahlte auf.
Die Tränen gaben es ab. Haut und Knochen waren kein Hindernis für sie, und aus Isabell Munro wurde mit einem Mal eine strahlende Erscheinung.
Harry Stahl konnte sich nicht rühren. Er war in den Bann hineingezogen. Vor ihm drehte sich der Strudel, der einmal Isabell gewesen war, und er kam urplötzlich und ohne vorherige Ankündigung zur Ruhe. Genau an der Stelle, wo Isabell gestanden hatte.
Dort war sie nicht mehr.
Keine Isabell Munro.
Eine andere Frau.
Nackt und…
Er hörte ihr Lachen. Wie ein böses Glockenspiel schallte es an seine Ohren. Es rammte in seinen Kopf hinein, und Harry hatte das Gefühl, als sollte er auseinander fliegen.
Er schloss die Augen, merkte anhand des Zuckens, dass er sie nicht mehr geschlossen halten konnte, öffnete sie wieder und starrte die Person an, die vor ihm stand.
War sie hässlich, war sie schön?
Nein, sie provozierte nicht allein durch ihre Nacktheit, sondern auch durch die Form ihres Körpers, denn die schwellenden Brüste, Schenkel und Oberarme ließen sie aussehen, als hätte sie soeben ein Fitness-Studio verlassen.
Ihre Haut war weiß. An einigen Stellen schimmerte sie bläulich.
Das Gesicht wirkte dick aufgeplustert, als hätte ihr jemand etwas in ihre Wangen gesteckt. Schwarze Haare standen wie lange Borsten in die Höhe. Die bösen Augen waren an den äußeren Rändern auseinander gezogen, der Mund stand offen, und aus ihm drang dieses hässliche Gelächter, ein Stück Hölle.
Abrupt brach es ab.
Stille trat ein.
Der Kommissar hörte sich selbst atmen. Es war mehr ein Schnaufen und Ächzen, dazwischen waren auch röchelnde Laute zu hören, als würde es in seinem Hals kratzen.
Sie streckte einen Arm vor. Er sah, dass ihre Finger sehr lang waren. Und die spitzen Nägel
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