082 - Das Geheimnis der Kristalle
der Steuermann tauchte neben ihm auf. »Ich meine - mitten in der Nacht wacht er auf und hört etwas rufen. «
»Was soll daran komisch sein?!« Der Kapitän reagierte heftiger, als er wollte. Ließ er sich jetzt auch schon anstecken von der Nervosität seiner Besatzung? »Er ist halt aus der Art geschlagen«, sagte er in etwas gemäßigterem Tonfall. »Warum bringen wir ihn wohl ins Bergwerk? He?«
Sie waren unterwegs nach Ma’an’tschech. Dort in der größten Siedlung der Rriba’low wurde an jedem zweiten Vollmond nach dem Schöpfungsfest Markt abgehalten. Neben dem Räucherfisch wollte To’rish dort auch den Gefangenen verkaufen; als Sklaven. Und Sklaven, männliche Sklaven zumal, landeten eben mehr oder weniger zwangsläufig in den Erzbergwerken der Narod’kratow, der Maulwurfsmenschen. So war das nun einmal.
»Meinst du, er könnte uns noch gefährlich werden?«, fragte Lar’sjew, »Ach was.« Der Kapitän machte eine wegwerfende Handbewegung. »Dass er Stimmen hört, wo keine sind, ist an sich noch nicht gefährlich. Wir sollten ihn nur loswerden, bevor die Macht im See uns zürnt.«
Dass er die Gedanken anderer lesen konnte, war der Grund für Se’raans harte Strafe. Lange hatte er die schändliche Gabe verbergen können, aber irgendwann war ihm seine Frau auf die Schliche gekommen. Jetzt war er ein aus der Art Geschlagener
- und seine Frau konnte ohne Heimlichtuerei beim Nachbarn schlafen.
Selbst die Rriba’low, die friedlichen Fischerfänger, verkauften Ausgestoßene ihres Volkes auf den Sklavenmärkten des Seeufers.
Lar’sjew verschränkte zwei Arme vor der Brust, während die Finger seiner beiden anderen Hände einen unregelmäßigen Takt auf die schmale Balustrade der Reling trommelten.
»Denkst du, er hat bei einem von uns…? Aber wer von uns sollte irgend jemanden rufen? «
»Einer, der wirres Zeug träumt!« Der Kapitän unterbrach seinen Steuermann schroff. »Wahrscheinlich warst du es! Geh jetzt wieder schlafen.«
Lar’sjew zog den Kopf ein und trollte sich.
Auch die meisten anderen verkrochen sich nach und nach wieder in die Mannschaftskajüte. Nur die Wachen am Bug und im Ausguck hielten die Stellung. Und To’rish selbst - der Kapitän tat die zweite Nachthälfte Dienst am Steuer. Er wollte die leichte Brise ausnutzen. Ma’an’tschech war noch mehr als drei Tagesreisen entfernt, und der Räucherfisch musste unter die Leute.
Eine halbe Stunde verging, To’rish hörte sie schon wieder schnarchen in der Mannschafts-Kajüte, und der Gefangene gab tatsächlich Ruhe. Sein Glück!
Über ihm im Ausguck knarrte das Flechtwerk und der Wächter rief: »Schiff von Backbord, fünfzig Kiellängen entfernt!«
Der Kapitän stellte das Steuerruder fest, schlüpfte aus dem Unterstand am Heck des Seglers und beugte sich über die Backbordreling. Tatsächlich: Am Rande der Mondlichtspiegelung entdeckte er einen länglichen Schatten.
»Ein Schiff?«, rief er missmutig. »Ein jämmerliches Holzkistchen, würd ich sagen!«
Es war ein Ruderboot, wie sich bald herausstellte. Seine Länge erreichte kaum ein Viertel von To’rishs Segler.
Erstaunlich rasch schob es sich heran, dabei konnte To’rish nur vier Ruderholme erkennen und im Boot nur vier Umrisse von Ruderern.
»Wieso sind die so schnell?«, brummte sein Steuermann neben ihm. Lar’sjew und der größte Teil der Besatzung waren schon wieder aus ihren Kojen gekrochen und hatten sich auf Deck eingefunden.
»Weiß ich’s?« Alle vier Hände um die Reling geklammert, die hohe schmale Gestalt weit vorgebeugt und mit dickem Faltenwulst zwischen den Brauen spähte To’rish in die Mondnacht hinaus. Das Boot kam näher, man konnte schon die weiten Umhänge und Kapuzen der Ruderer im Wind flattern sehen, und hinter ihrem kleinen Kahn schimmerte es weißlich im Mondlicht.
»Es sind Woiin’metcha«, sagte Lar’sjew. »Was rudern die mitten in der Nacht auf dem See herum?«
»Weiß ich’s?« Der Kapitän hatte längst erkannt, dass Schwertkrieger auf den Ruderbänken arbeiteten. Wer sonst am Ufer des Sees trug diese lächerlichen Kapuzenmäntel?
Schwertkrieger also - Woiin’metcha -, nichts was den Kapitän eines Rriba’low-Seglers beunruhigen musste. Doch was da am Heck ihres Ruderbootes das Mondlicht reflektierte, was da auf und ab tauchte, das Wasser teilte, Schaum schlug und Blasen warf, das machte To’rish nervös.
»Wahrscheinlich wollen sie auch nach Ma’an’tschech«, sagte einer der anderen Männer. Fast die gesamte
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