082 - Die Geisterkadetten
eine Reihe von Folterwerkzeugen glitt. Es bereitete ihr eine kribbelnde Freude, als sie sich ausmalte wie die spitzen Eisendornen der aufgeklappten »Eisernen Jungfrau« in einen menschlichen Körper drangen.
Aber schon ergriff die kalte Hand des Mannes, der seine Nase witternd hob, ihren Arm und zog sie weiter. Ein Geruch zog ihn magisch an, ein Geruch nach Fäulnis und Verwesung.
Durch die Nase des Mannes geleitet kamen sie in einen kahlen, rechteckigen Raum in dem in kurzen Abständen Nischen eingelassen waren. Der helle Lichtfinger der Lampe riß von Staub und Spinnenweben bedeckte schwere Särge aus der Dunkelheit der Nischen. Sie befanden sich in der Gruft der früheren Burgherren. Drei der insgesamt zwölf Holzkisten waren zerfallen, und ihre zersplitterten Reste bildeten mit den dazwischen liegenden Gebeinen drei wirre Haufen.
In der letzten Nische, die im hinteren Teil der Totenkammer lag, standen nebeneinander zwei leere, unbenutzte Särge, deren Deckel lose obenauf lagen.
Der Vampir grunzte zufrieden, als er auf die mit glänzender Seide überzogenen Kissen blickte, mit der die Särge ausgestattet waren. Offenbar hatten ein paar der früheren Bewohner Chateaus eine Vorratswirtschaft für ihren Tod betrieben und sie nicht ausgenutzt.
Jeanne stieg dem Beispiel des Vampirs folgend in eine der Totenkisten. Sie löschte die Lampe, legte sie neben sich und faltete die Hände über ihre Brust. Regungslos und mit geschlossenen Augen lag sie da. Die Dunkelheit verbarg ihr bleiches Gesicht, das von einer unbeschreiblichen, dämonischen Schönheit war.
***
Jules Fresnac tappte auf nackten Sohlen durch den Raum zum Waschtisch hinüber. In dem dämmerigen Licht, das durch die beiden schmalen Fenster fiel, wirkte sein hageres Gesicht blutlos und alt.
Der Wirt trank ein Glas kalten Wassers in einem langen Zug leer. Wie so oft in den letzten Wochen konnte er keinen Schlaf finden.
Heute war es besonders schlimm. Immer und immer wieder wurde sein Gehirn von schrecklichen Gedanken gegeißelt, daß sein kranker Sohn Georges ein Doppelmörder geworden war. Außerdem sollte Georges tot sein.
Der Wirt schlurfte zu seiner Liegestatt zurück.
Wenn es wirklich so war, wie der Inspektor geschildert hatte, konnte er sich in dieser Gegend nicht mehr sehen lassen. Er würde das Haus verkaufen müssen und mit Jeanne wegziehen, irgendwohin.
Der Wirt schluckte. Trotz der Schwüle, die im Raum herrschte, war seine Haut kalt. Plötzlich warf er sich neben dem Bett in die Knie, er bedeckte sein Gesicht mit den Händen und begann zu beten.
Ab und zu hob er den Kopf und lauschte. Er bildete sich immer wieder ein, ein Klopfen im Erdgeschoß zu hören.
Als er den Kopf schüttelte, um die Täuschung abzuwehren, schmerzte die Bewegung seines gepeinigten Schädels.
Eine Viertelstunde wohl verharrte Jules Fresnac -in tiefem Gebet, erhob sich dann, kroch ins Bett und streckte sich mit einem schweren Seufzer aus.
Doch schon nach wenigen Atemzügen richtete er sich wieder auf, saß kerzengerade in den Kissen und blickte lauschend in die Dunkelheit. Ganz deutlich hatte er das Läuten der Glocke an der Haustür gehört.
Wer konnte das sein?
Einen Augenblick blieb Jules Fresnac unschlüssig sitzen. Aber ein erneutes leises Schrillen im Erdgeschoß ließ ihn aus dem Bett springen. Hastig nahm er den über einen Stuhl hängenden Morgenrock und warf ihn über die Schultern.
Fresnac verzichtete darauf, das Licht im Treppenhaus zu benutzen. Mit schlafwandlerischer Sicherheit bewegte er sich im Dunkeln die teppichbelegten Stufen hinab. Erst unten in der Gaststube schaltete er eine über dem Schanktisch hängende Lampe ein.
Der Wirt zögerte, bevor er den Riegel der Tür zurückschob. Er spürte plötzlich, daß etwas Unfaßbares durch die Tür drang.
»Wer ist da?« rief er leise. Aus den Augenwinkeln beobachtete er seinen eigenen Schatten an der Wand.
»Georges, dein Sohn Georges«, drang eine dumpfe Stimme von draußen herein.
Wie unter einem Peitschenhieb zuckte Jules Fresnac zusammen.
Es war Georges Stimme. Gott sei Dank, er lebte!
Mit zitternden Händen drehte er den Schlüssel und schob den Riegel zurück.
Im gleichen Augenblick flog krachend die Tür auf. Die riesige verwachsene Gestalt Georges Fresnacs torkelte in den Raum. Sie war nur mit einem zerfetzten Hemd und einer verdreckten Hose bekleidet. Der Wirt sah, daß in dem unnatürlich fahlen Gesicht seines Sohnes häßliche Wunden klafften, die mit schwarzem verkrustetem Blut
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