082 - Die Zeit der Zwerge
entspannte, ließ sich vom Strom der Zeit zurücktreiben und begann zu erzählen.
„Ich müßte lügen, wenn ich behauptete, daß ich noch genau weiß, was ich damals fühlte, als Asmodi im Jahre 1570 den Leuchtturm von Porto Ecrole zerstörte, in dem sich meine gesamte alchimistische Ausrüstung befand - eigentlich meine gesamte Habe. Natürlich war das damals eine Niederlage für mich, aber auch gleichzeitig eine Herausforderung. Ich war noch fester entschlossen, Asmodis Insel zu finden und mir die Mumie des Hermes Trismegistos oder den Stein der Weisen zu holen.
Ich hatte bei den de Medici noch ein kleines Guthaben gehabt, das ich in meine Expedition investierte. Aber, das ist ja bekannt, die Expedition war ein Mißerfolg. Als das Geld alle war, ging ich mit meinem Diener Franca Marzi in Marseille an Land.
Ich besaß nicht einmal mehr das Geld, um Franca zu bezahlen, aber davon wollte er ohnehin nichts wissen; ganz im Gegenteil; in den nächsten Tagen sorgte er für meinen Unterhalt. Ich fragte ihn nicht, woher er das Geld hatte; ich wußte auch so, daß er in seinem früheren Beruf zu arbeiten begonnen hatte.
Sagte ich bereits, daß Franca ein Taschendieb war, bevor er mein Diener wurde?
Bald kamen bessere Zeiten für uns. Ich betätigte mich als Arzt, nannte das Haus der de Medici als Reverenz, und hatte außer recht beachtlichen Heilerfolgen auch finanzielle. Aber noch bevor ich mir in Marseille einen Namen machen konnte, mußten wir die Stadt wieder verlassen. Franca gab mir einen Wink, daß uns jemand die Inquisition auf den Hals gehetzt hätte - und so verließen wir Marseille bei Nacht und Nebel.
Es war Francas Vorschlag, nach Paris zu gehen. Er hatte dort viele Freunde, die uns bestimmt weiterhelfen würden. Ich ahnte natürlich, was für Freunde das waren. Doch der Gedanke gefiel mir, zumal mir in Paris Gelegenheit geboten wurde, den berühmten Guillaume Postel kennenzulernen, dessen Heilpraktiken ich mit denen des Paracelsus gleichstellte.
Da die Häscher der Inquisition hinter uns her waren - sie suchten nach zwei Männern, deren Beschreibung auf uns paßte - trennten wir uns und verabredeten für den zehnten August - das war zwei Monate später - einen Treffpunkt auf dem Platz vor der Notre Dame. Franca wollte vorauseilen und alle Vorbereitungen für meinen Empfang treffen.
Vergangenheit, Paris 1572 August.
Ich kam zwei Tage zu spät nach Paris und rechnete nicht mehr damit, meinen Freund und Diener Franca Marzi am verabredeten Ort zu treffen.
Am östlichen Stadttor Saint-Antoine war zu später Stunde nichts mehr los; die beiden Zöllner lümmelten gelangweilt vor dem Wachhaus diesseits der Brücke herum. Sie sahen mit entgegen, tuschelten miteinander und lachten.
Ich machte mich auf einige Schikanen gefaßt. Mein Aussehen war auch nicht gerade vertrauenerweckend. Meine Kleider waren zerschlissen und staubig von dem langen Ritt, und der Klepper unter mir hatte sich längst schon den Gnadenstoß verdient. Ich hatte ihn von einem Bauern bekommen aus Dank dafür, daß ich seine Frau von einem Sohn entbunden hatte, nachdem sie ihm bisher nur Töchter schenkte - sieben Stück. Als wäre es mein Verdienst gewesen, daß sein achtes Kind ein Sohn geworden war.
Außer dem Klepper und dem, was ich am Leibe trug, besaß ich kaum etwas, abgesehen von dem Ranzen mit Tinkturen und Salben, ein paar Schriften, und einem an Schwindsucht leidenden Beutel, in dem nur wenige Münzen klimperten.
Die beiden Zöllner winkten den Wagen eines Händlers vorbei, der gerade durch das Stadttor kam. Ich hoffte noch, daß sie mich ungeschoren ziehen lassen würden. Doch kaum war ich bis auf wenige Schritte heran, stürzten sie sich wie Geier auf mich. Ihre Augen blitzten in Vorfreude des zu erwartenden Spaßes.
Ich drehte den Spieß um.
Als der kleinere der beiden mir in die Zügel greifen wollte, streckte ich ihm abwehrend eine Hand entgegen und rief erschrocken aus: „Keinen Schritt weiter! Rührt weder mein Tier noch mich an!" Der Zöllner zuckte zusammen.
„Was ist denn in Euch gefahren, Fremder?" fragte er unsicher. „Ihr tut, als hätte ich den Aussatz. Dabei scheint es mir eher umgekehrt zu sein, wenn man Euch anschaut."
Der andere Zöllner lachte.
Ich beugte mich zu dem Kleinen hinunter, blickte ihm tief in die Augen und bat ihm, die Zunge herauszustrecken und mit den Augen zu rollen.
Er gehorchte.
„Ich bin Arzt, müßt Ihr wissen", erklärte ich dabei mit sorgenvoll gerunzelter Stirn. „Und was
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