082 - Die Zeit der Zwerge
dunklen Gestalten, die sich auf der breiten Treppe vor den verschlossenen Toren für die Nacht einrichteten. Einige beklagten sich schimpfend über das Hufgeklapper meines Pferdes, andere berieten lautstark, damit ich es hören konnte, ob man das zähe Fleisch meines Kleppers nicht für Schuhsohlen verarbeiten könnte.
Von Franca Marzi fehlte jede Spur. Das war nicht anders zu erwarten gewesen. Ich konnte auch schlecht annehmen, daß er Tag und Nacht hier ausharrte. Es war mein Fehler. Ich hätte mich nicht verspäten dürfen.
Ich verfluchte meinen unseligen Stolz, der mich daran gehindert hatte, an Francesco de Medici in Florenz oder an mein Elternhaus in Venedig eine Nachricht mit Bitte um Geld zu schicken. Francesco hätte mir bestimmt geholfen. Doch ich hatte mich nicht dazu überwinden können, einen solchen Bettelbrief abzuschicken; und nach Florenz zurückkehren wollte ich auch nicht. Irgendwann würde ich Franca schon finden.
Ich trieb mein Pferd auf eine Gasse zu, aus der mir die Laternen von Schenken verführerisch entgegenleuchteten. Plötzlich tauchte aus einem Hausflur eine Gestalt auf. Ich erkannte den Buckligen, der mir schon auf dem Place de Greve aufgefallen war. Als er nach dem Zügel griff, zückte ich den Degen.
„Nicht, Herr!" schrie er entsetzt. „Ihr müßt Monsieur Michele da Mosto sein."
Ich hielt inne, blieb aber mißtrauisch. „Woher willst du mich kennen?"
„Franca Marzi hat Euch beschrieben." Der Bucklige kicherte. „Allerdings schloß er die Möglichkeit nicht aus, daß Ihr in einer goldenen Kutsche kommen könntet."
„Laß diese Anspielungen!" sagte ich drohend. „Wo ist Franca jetzt?"
„Wenn Ihr gestattet, Herr, dann führe ich Euch zu ihm. Es ist nicht weit von hier."
„Geh voran!"
Der Bucklige gehorchte kichernd.
„Von mir und meinesgleichen habt Ihr nichts zu befürchten, Herr. Wir sind Francas Freunde. Ja, ja, Franca versteht sein Geschäft. Aber vor den Quälgeistern und Kobolden müßt Ihr Euch hüten. Vor diesen Teufeln gibt es keinen Schutz. Vor ihnen ist nicht einmal ein ehrlicher Dieb sicher."
Ein schriller Schrei, der aus einem der umliegenden Häuser kam, unterbrach den Buckligen.
Ich zügelte mein Pferd, aber er drängte: „Weiter, Herr! Schnell! Wir sind gleich am Ziel."
„Aber da hat eine Frau in höchster Not geschrien?"
„Na und?"
Der Bucklige zerrte wieder am Zügel meines Kleppers, als sich der Schrei wiederholte und kurz darauf erstarb, als würde er gewaltsam erstickt.
„Da werden sich die Kobolde wohl wieder ein Opfer holen", meinte er.
Zwanzig Meter vor uns ging eine Tür auf, und zwei Gestalten, die eine dritte zwischen sich hatten, kamen auf die Straße. Im Licht der Schenke erkannte ich zwei finster aussehende Männer, die ein um sich schlagendes Mädchen festhielten, ihr die Arme auf den Rücken bogen und ihr den Mund zustopften.
„Halt! Laßt das Mädchen los!" rief ich und ritt mit gezücktem Degen auf die Männer los.
„Im Namen der Inquisition, gebt den Weg frei!" verlangte der eine keuchend. „Das ist eine Hexe, die sich in Nächten wie dieser in einen Wolf verwandelt und schon etliche Menschen gerissen hat." Ich erreichte die drei Gestalten. Das Mädchen blickte aus großen, ängstlichen Augen zu mir hoch. Sie war nur mit einem dünnen Nachthemd bekleidet. Um ihren Hals glitzerte etwas silbrig.
„So, eine Werwölfin ist das", sagte ich. „Und wie erklärt ihr Euch dann, daß dieses Mädchen eine silberne Kette um den Hals trägt?"
„Was hat das eine mit dem anderen zu tun?" fragte der andere Hexenjäger. „Verschwindet endlich!" Ich rührte mich nicht von der Stelle. Der Degen lag sicher in meiner Hand.
„Hat es sich noch nicht bis Paris herumgesprochen, daß Silber für Werwölfe tödlich ist?"
Die Häscher stießen das Mädchen wütend von sich und zogen ihre Degen. Ich kreuzte zuerst mit dem links von mir die Klinge, weil er mir der Gefährlichere schien. Außerdem sah ich aus den Augenwinkeln, daß sich der Bucklige von hinten an den anderen heranschlich.
Ich drängte meinen Gegner mit dem Pferd bis an die Hauswand und ließ mich auch nicht irritieren, als in meinem Rücken ein Aufschrei erklang, dem der dumpfe Fall eines Körpers folgte. Es war gut, daß ich mich nicht ablenken ließ. Denn in diesem Moment stieß die blitzende Klinge zu. Ich riß das Pferd herum, und es fing den tödlichen Stoß ab. Es wieherte kläglich, als ihm die Klinge bis zum Heft in den Leib gestoßen wurde.
Ich nützte die
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