082 - Die Zeit der Zwerge
Gelegenheit und stach nach dem Waffenarm meines Gegners. Er schrie auf, ließ seinen Degen los, der noch in meinem Reittier steckte, und taumelte zurück.
„Und jetzt lauf um dein Leben!" rief ich ihm zu.
Er torkelte, vor Schmerz brüllend, davon und schrie: „Das wirst du noch büßen, Halunke! Baron de Guiches Arm ist lang und wird dich erreichen."
Ich befreite mein linkes Bein von der Last des sterbenden Pferdes. Der Bucklige half mir.
„Kommt jetzt! Schnell, Herr!" drängte er. „Ihr wißt gar nicht, auf was Ihr Euch da eingelassen habt." Ich blickte zu dem Mädchen hin, das fröstelnd in einer Mauernische stand.
„Wollt Ihr hier stehenbleiben und Euch den Tod holen, Mademoiselle?" wandte ich mich an sie. „Aber - ich weiß nicht, wohin ich soll", sagte sie zähneklappernd. „Nach Hause wage ich mich nicht mehr."
„Dann erlaubt mir, daß ich Euch meine Gastfreundschaft anbiete", sagte ich galant. „Ich heiße Michele da Mosto. Und Ihr, schöne Unbekannte?"
„Hortense Cordeau."
Der Bucklige eilte uns kichernd voraus. „Franca hat nicht zuviel gesagt, als er behauptete, daß Ihr es versteht, Gefahren und schöne Frauen anzuziehen. Wie wahr, wie wahr!"
Drei Gassen weiter blieb der Bucklige vor einem Haus stehen, dessen Fenster im zweiten Stock erleuchtet waren.
„Dieses Haus hat Franca Marzi zu Eurem Domizil auserwählt, Michele da Mosto", sagte er und verneigte sich.
Obwohl sich der Bucklige bisher noch nicht verdächtig benommen hatte, blieb ich mißtrauisch.
„Du wirst vor mir eintreten", verlangte ich.
Er hob abwehrend die Hände. „O nein, Herr! Das werde ich nicht tun. Franca haut mir nämlich sonst den Buckel voll."
„Allerdings würde ich das tun", rief da plötzlich eine bekannte Stimme.
Die Haustür war unbemerkt aufgegangen, und Franca Marzi erschien darin. Wir fielen einander in die Arme. Aber er löste sich schnell wieder aus der Umarmung und ging auf Distanz.
„Vergeßt Euch nicht, Herr! Ich bin nur Euer Diener", sagte er, aber seine Stimme klang gerührt.
„Du bist mein Schutzengel und mein Lebensretter", behauptete ich und ließ Hortense Cordeau den Vortritt ins Haus.
Franca blinzelte mir schelmisch zu. Er war nicht im geringsten überrascht, mich in der Begleitung eines Mädchens zu sehen, das dazu nur mit einem Nachthemd bekleidet war; er schien nichts anderes erwartet zu haben. Er hatte sogar schon zwei nebeneinanderliegende Zimmer hergerichtet, die selbstverständlich eine Verbindungstür hatten. Doch hatte ich nicht die Absicht, sie zu benützen, denn ich war rechtschaffen müde. Deshalb fiel auch die Wiedersehensfeier mit Franca recht kurz aus. Wir wollten am nächsten Tag unsere Erlebnisse austauschen und alles andere besprechen.
Kaum im Bett, war ich sofort eingeschlafen.
Ich wußte nicht, wie lange ich geschlafen hatte, als mich mein Instinkt weckte.
„Halt, sprich nicht weiter!" bat Coco. „Laß mich raten, was dich geweckt hat. Es war Hortense Cordeau, diese liebliche Jungfrau, die zu dir ins Bett gekrochen ist."
„Woher weißt du das?" fragte Dorian verdattert.
Er wirkte noch ein wenig benommen von der Fülle der auf ihn einstürmenden Erinnerungen.
„Na, das war doch nicht schwer zu erraten." Sie zupfte ihm ein Brusthaar aus.
„Au! Unterlaß das gefälligst! Weißt du, was ich vermute? Daß du auf die Frauen eifersüchtig bist, die ich als Michele da Mosto geliebt habe."
„Pah! Was für ein Unsinn! Ich bin nicht einmal auf die Frauen eifersüchtig, die du als Dorian Hunter liebst. Und weißt du, warum? Weil ich meine Qualitäten kenne."
Er wollte sie an sich ziehen. „Dann zeige sie mir!"
Aber sie stieß ihn von sich. „Nein, jetzt nicht. Ich hätte sonst das Gefühl, daß du, wenn du die Augen schließt, diese Hortense vor dir siehst. Laß erst mal die Erinnerung an sie abklingen."
„Also doch eifersüchtig. Dabei ist zwischen mir und Hortense nie etwas vorgefallen."
„Du meinst wohl zwischen Michele da Mosto und Hortense", berichtigte sie und fügte gleich hinzu: „Aber das sagst du sicher nur aus Rücksicht auf mich."
„Es ist die Wahrheit. Als ich aufwachte, lag sie mit offenen Augen neben mir. Sie bot sich mir an. Ich sagte, sie sollte ihre Jungfräulichkeit für den Mann aufheben, den sie einst lieben würde. Sie entgegnete, daß sie mir - ihrem Retter, nur das schenken wollte, was sich Baron Joffrey de Guiche mit Gewalt genommen hätte."
„Wie rührend! Du hast sie also nicht angerührt. War sie denn nicht
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