0821 - Grauen aus dem Meer
Jahren. Vielleicht ist es auch schon geschehen. Wahrscheinlich würden wir nicht einmal etwas davon merken. Uns würde der Vergleichswert fehlen.«
»Die Traumzeit kennt keine Zeit«, sagte Zamorra und nickte leicht. Er öffnete die Augen wieder. »Und das Siegel hat nichts darüber ausgesagt, wann es geschieht. Trotzdem sollten wir uns beeilen. Je schneller wir dieses Problem aus der Welt schaffen, desto einfacher ist es. Wenn der Bursche, wer auch immer es ist, erst einmal durch das Tor gekommen ist, haben wir ein Problem. Dann werden wir selbst in die Traumzeit eingreifen müssen. Und das möchte ich vermeiden. Aber wir werden Aprils Hilfe brauchen.«
»Du machst dir Sorgen um sie«, sagte Nicole.
Zamorra nickte. »Vor allem, weil sie sich zwischendurch auch überhaupt nicht gemeldet hat.«
»Ich werde sie anrufen«, versprach Nicole. Sie erhob sich und ging hinüber zu dem Teil des geräumigen Hotelzimmers, in dem auf einem kleinen Schreibtisch unter anderem das Telefon stand.
»Nimm das Handy. Das kommt billiger als die Hotelgebühr«, schlug Zamorra vor. Sein Blick verfolgte die aufregende, schlanke Gestalt seiner Partnerin, genoss jede ihrer Bewegungen.
Sie zuckte mit den Schultern. »Seit wann bist du so sparsam?«
»Seit wir auf eigene Faust hier campieren«, erwiderte er trocken. »Meistens werden wir ja von irgendwem bezahlt.«
»Spesenritter«, spöttelte Nicole. »Campieren ist gut. Wenn das hier ein Zelt oder Wohnwagen ist, möchte ich lieber nicht wissen, wie luxuriös es in einer richtigen Nobelherberge aussieht.«
Sie waren nicht im teuersten Hotel in Sydney abgestiegen, aber zu den Billigschuppen gehörte es auch nicht gerade. Entsprechend gut war die Ausstattung. Ein Swimmingpool gehörte mit dazu, und Nicole drängte darauf, einen Einkaufsbummel zu übernehmen und einen neuen Bikini zu kaufen. »Schließlich kann ich hier nicht einfach nackt ins Wasser hüpfen«, begründete sie ihre Attacke auf Zamorras Finanzkraft; selbstverständlich würde der Kaufpreis im umgekehrten Verhältnis zur Stoffmenge stehen, und was die anging, gab Nicole sich für gewöhnlich mit dem Allernötigsten zufrieden.
Aber wenn sie sich erst auf Aprils Yacht, der SEASTAR II, befanden, war dieses Badetextil sowieso Vergangenheit.
Nicole bediente das Zimmertelefon bereits und versuchte die SEASTAR anzuwählen. Die Rufnummer kannte sie auswendig. Nach ein paar Minuten gab sie seufzend auf. »Ich komme nicht durch. Offenbar ist die Telefonzentrale dieses Etablissements nicht darauf eingerichtet, mit Schiffen zu kommunizieren.«
»Mit deren Besatzungen«, korrigierte Zamorra schmunzelnd.
»Ja!«, fauchte Nicole ihn an. »Klugscheißer! Dass Schiffe nicht reden können, weiß ich selbst, und du weißt genau, was ich meine.«
Er grinste. »Du meinst das hier.« Er warf ihr das TI-Alpha zu, den kleinen Alleskönner aus den Werkstätten der Tendyke-Tochterfirma Satronics, von Dr. van Zant mit kleinen Feinheiten und Gemeinheiten bestückt, die sie bisher noch nicht einmal herausgefunden hatten, und van Zant hatte mit hinterhältigem Grinsen darauf verzichtet, eine Bedienungsanleitung beizufügen.
Nicole fing das Handy geschickt auf. Ihre Finger flogen geradezu über die Tasten. Aprils Rufnummer war gespeichert. Einen Augenblick später wartete Nicole, dass ihre Freundin den Anruf entgegennahm.
Aber April Hedgeson antwortete nicht.
Jetzt begann auch Nicole sich Sorgen um ihre Freundin zu machen. Sie kannten sich seit ewigen Zeiten. Schon damals, als sie in New York studierte, waren sie mit einem dritten Mädchen in einer Wohngemeinschaft zusammen gewesen, und später, als Nicole den Job als Zamorras Sekretärin annahm, hatten sie sich aus Zeitmangel zwar immer seltener gesehen, aber um so fester wurde ihrer beider Freundschaft.
Die dunkelhaarige April war so alt -oder so jung - wie Nicole. Als Engländerin hatte sie schon lange vor den Grenzöffnungen der Europäischen Union ihren italienischen Hauptwohnsitz am Garda-See, eine Villa in Strandnähe, circa zwei Kilometer südlich von Bardolino, mit eigenem Landeplatz für Hubschrauber und Kleinflugzeuge. April war die einzige Tochter des verstorbenen Industriellen und Multimillionärs Sir Francis »the great« Hedgeson. Sie studierte in Telford, Oxford, Paris und Harvard sowie an der New Yorker Columbia-Universität und lernte dabei ihre Studienfreundin Nicole kennen. Ein Halbbruder - April war die Tochter von Sir Francis’ 5. Frau - war als 19-Jähriger bei einem
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