0822 - Ein Fremder auf Luna
Zustand suspendierter Animation. Sämtliche Körperfunktionen, mit Ausnahme einer Restaktivität des Gehirns, ruhten. Selka konnte nicht ersticken, und die Last der Steine, mit denen man sie zugedeckt hatte, war sicherlich nicht schwer genug, um ihr Schaden zuzufügen.
In diesen Stunden des Wartens wuchs Walik Hauks Haß auf die Kleine Majestät, die eine hilflose Gruppe von Menschen so versklavt hatte, daß sie nicht einmal den Ernst des Todes mehr zu erfassen vermochten. Zum hundertsten Mal nahm er sich vor, nicht eher zu ruhen, als bis dieses grausame Supergehirn unschädlich gemacht war - und zwar für immer.
Als es dunkel wurde, holten sie Selka aus ihrem schäbigen Grab. In zwei Flügen kehrten sie zum Lager zurück. Zelte und Geräte wurden geborgen. Sie blieben hier für den Fall, daß wieder ein Einsatz in der Gegend von Namsos notwendig wurde. Wenn es gelang, Selka durch Mentalstabilisierung aus dem Bann der kleinen Majestät zu befreien, dann würde das bald der Fall sein.
In weiteren zwei Flügen erreichten sie die Spalte, in der Walik den Hochleistungsleiter abgestellt hatte.
Das kleinere Fahrzeug blieb dort zurück. Mit dem größeren machte sich der kleine Trupp auf den Heimweg nach Terrania City.
Während des Fluges beschäftigte sich Walik Kauk mit seinen Gedanken. Ein Anfang war gemacht. Die neue Unterkunft in der Peripherie von Imperium-Alpha, bestehend aus einer Reihe von ehemaligen Forschungslabors mit den dazugehörigen Unterkünften und Versorgungsanlagen, bot alle Möglichkeiten, die man sich für Selkas Behandlung wünschen konnte. Um so mehr, als NATHAN in letzter Zeit dazu übergegangen war, ab und zu Hilfestellung zu leisten.
Wenn es gelang, das Mädchen mental zu stabilisieren, dann war ein großer Schritt vorwärts getan.
Mentalstabilisierte erlagen dem Einfluß der Kleinen Majestät nicht mehr. Wenn Selka dem Bann des Riesengehirns entkam, dann würde man einen nach dem andern aus Bosketchs Gruppe entführen und ebenfalls stabilisieren. Wenn aber der letzte der Gruppe geheilt worden war, dann mußte doch für die kleine Majestät der Augenblick kommen, in dem sie sich fragte, was sie hier überhaupt noch zu suchen hatte - auf einer Welt gänzlich ohne Untertanen.
In der Gegend des ehemaligen Nowosibirsk setzte Walik den ersten Funkspruch an Jentho Kanthall ab. Er berichtete vom Erfolg des Unternehmens und fragte nach Neuigkeiten von Luna. Die Antwort kam nur wenige Sekunden später. Sie lautete: „Von Luna nur Unerfreuliches. Keine Funkverbindung - aber NATHAN hat ein paar Funktionen eingestellt."
4.
Die drei Männer standen einander gegenüber - zwei auf der einen, der dritte auf der anderen Seite der Barriere.
Reginald Bull zwang sich zur Ruhe. Die Erfahrung lehrte, daß von vornherein im Nachteil war, wer seine innere Erregung zur Schau stellte. Roi Danton empfand und verhielt sich ähnlich.
Bull musterte den Fremden. Er war ein häßliches Mannsbild - groß, dürr, halb vornübergebeugt, schmutzig, ungepflegt, abstoßend mit dem etwas überheblichen Grinsen, das seine gelben Pferdezähne entblößte. Er war die Art von Geschöpf, gegen die man instinktiv Abneigung empfindet. Bull aber wußte, daß es damit in diesem Fall nicht getan war.
Er mußte sich davor hüten, den Fremden zu unterschätzen.
„Wer sind Sie?" fragte er.
Er war sicher, daß es zwischen den beiden Seiten der Energiebarriere eine akustische Verbindung gab. Das war richtig, wie sich herausstellte. Aus einem Lautsprecher antwortete die tiefe Stimme des Fremden: „Ich bin Grukel Athosien. Und in Ihnen erkenne ich Reginald Bull wieder, den ehemaligen Führer der Aphilie. Der Mann hinter Ihnen ist Roi Danton."
„Das erspart mir die Vorstellung", konterte Bull grimmig. „Was wollen Sie hier?"
„Nachsehen, ob sich NATHAN für meine Zwecke einsetzen läßt."
Die Kaltblütigkeit der Antwort nahm Bully fast den Atem.
„Für Ihre privaten Zwecke?"
Athosien schüttelte amüsiert den Kopf.
„Nicht privat. Ich bin nicht selbstsüchtig, wenn Sie das meinen."
„Wofür ich Sie halte, spielt hier keine Rolle. Wichtig ist nur, daß NATHAN gebraucht wird. Dringend.
Und zwar nicht für Ihre Zwecke!"
„Wofür sonst?"
„Für die Befreiung der Erde - falls Ihnen das etwas besagt."
„Der Erde? Auf der Erde leben keine Menschen mehr. Wovon wollen Sie die Erde befreien?"
Die Frage brachte Reginald Bull nur einen Atemzug lang aus dem Gleichgewicht.
„Die Menschheit wird zurückkehren. Es ist
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