0822 - Ein Fremder auf Luna
verfallen können.
Das Vorhandensein eines halbfertigen Schiffes hatte die Debatte über den Fahrzeugtyp und darüber, welche Werft von NATHAN reaktiviert werden sollte, schlagartig beendet. Seitdem wurde an der IRONDUKE weitergebaut, und in diesen Tagen näherte sich das mächtige Schiff der Vollendung.
*
Reginald Bull verfolgte mit nachdenklichem Blick die etwa einhundert Quadratmeter große Terkonitplatte, die von einem Fesselfeld in die Höhe des mächtigen Schiffskörpers gehoben und von einem Formkissen an Ort und Stelle gesetzt wurde. Sonnenlampen beleuchteten die geschäftige Szene.
Bull wandte sich um.
„Also gut - wir haben einen Fremden hier unten! Was fangen wir mit ihm an?"
Seine Frage war erwartet worden.
„Wir belagern ihn", antwortete Roi Danton. „Sobald er sich zeigt, machen wir ihn unschädlich."
„Der Meinung bin ich auch", erklärte Bull beifällig.
„Nach meiner Ansicht sollte man mit etwas mehr Überlegung vorgehen", meinte Waringer statt dessen.
„An erster Stelle müßte in Erfahrung gebracht werden, wie der Mann überhaupt hier hergekommen ist."
„Wahrscheinlich ist er ein Überlebender der Großen Katastrophe", vermutete Bull. „Einer, der zuviel Pillen gegessen hat wie die ändern."
„Mentalstabilisiert", fügte Geoffry Waringer hinzu.
„Ja, das auch. Sonst hätte ihn sich die Kleine Majestät geschnappt."
„Und im Besitz eines Raumfahrzeugs."
„Richtig. Wie wäre er sonst hier hergekommen?"
„Das ist eben die Frage. Wenn er sich dem Mond in einem Fahrzeug genähert hätte, wäre er von den Ortern angezeigt worden."
„Die Orter in unseren Unterkünften laufen über die Schaltzentrale", gab Danton zu bedenken. „Die Schaltzentrale ist gestört..."
„Aber erst seit der Fremde hier ist!" unterbrach ihn Waringer.
„Also ist er per Transmitter gekommen."
„Quatsch! Wir wissen, wo die funktionsfähigen Transmitter auf der Erde stehen. Sie sind unter der Kontrolle der Patrouille. Jentho Kanthall hätte uns benachrichtigt, wenn er uns jemand hätte schicken wollen."
Reginald Bull grinste.
„Da siehst du, wohin du mit dem Spekulieren gerätst, Geoffry", spottete er. „Von einer logischen Falle in die andere. Ich sage dir, es gibt nur eines: Umzingeln und unschädlich machen, sobald er die Nase ins Freie steckt!"
Der Wissenschaftler gab noch nicht auf.
„Ich bin dafür, daß wir uns mit NATHAN in Verbindung setzen", schlug er vor.
„Nichts dagegen einzuwenden", gestand Bull ihm zu. „Ich hoffe nur, er meldet sich."
Mit NATHAN Kontakt aufzunehmen, hatte sich in der jüngsten Vergangenheit als schwieriges, oft erfolgloses Unterfangen erwiesen. Die direkte Verbindung zum Zentrum des Großrechners gab es nicht mehr. Lange Zeit hatte es überhaupt keinen Weg gegeben, NATHAN Informationen zukommen zu lassen oder solche von ihm zu erhalten. Dann aber hatte Raphael, das Energiewesen und ursprünglich ein Geschöpf der Inpotronik, sein eigenständiges Dasein aufgegeben und sich, wie er sagte, wieder mit seinem Erzeuger integriert. Seitdem existierte Raphaels energetische Substanz - zwar integriert, aber offenbar noch mit einem gewissen Maß an Selbständigkeit - irgendwo im Innern NATHANs. Manchmal, wenn man in die Tastatur einer Kommunikationskonsole die Buchstaben RAPHAEL tippte, meldete er sich.
Geoffry Waringer unternahm den Versuch selbst. Jedermann war überrascht, als fast noch im selben Augenblick der kleine Nachrichtenbildschirm aufleuchtete. Er zeigte ein mattleuchtendes, violettes Viereck - eines der Kennzeichen, deren Raphael sich bediente.
„Ich höre", sagte eine Stimme aus dem Empfänger.
„Ein Fremder ist in die sublunare Anlage eingedrungen", erklärte Waringer.
„Ich weiß es", lautete die Antwort.
„Er wird Schaden anrichten!" behauptete der Wissenschaftler.
„Das ist nicht zu erwarten."
„Er behindert uns in unseren Arbeiten!"
„Das läßt sich nicht vermeiden."
Verblüfft starrte Waringer den Bildschirm an.
„Diese Anlage gehört uns!" stieß er hervor. „Niemand außer uns hat sich hier zu schaffen zu machen!"
„Die Frage des Eigentums ist in diesem Zusammenhang ohne Belang. NATHAN verfolgt niemandes Interessen aus eigenem Antrieb. Seine Handlungen werden bestimmt durch das Urprogramm."
Waringer war hilflos. Er wußte nicht, was er dem entgegenhalten sollte. Reginald Bull schob ihn beiseite.
„Kann man erfahren, welche Interessen NATHAN in diesem Augenblick aufgrund des Urprogramms
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