0823 - Monster-Engel
Toilette.
Mit noch immer müden Schritten ging Kate auf den Hocker zu, der vor dem Waschtisch stand. Zwei Lampen rahmten den Spiegel ein. Sie gaben ein nicht zu grelles Licht ab, und Kate konnte ihr Gesicht in der hellen Fläche gut erkennen.
Beinahe erschrak sie über sich selbst. Das eigene Gesicht kam ihr vor wie das einer alten Frau. Klar, wer so etwas hinter sich hatte, konnte einfach nicht wie ein junges Mädchen wirken. Es blieb immer irgendwie hängen.
Es war nicht nur ihr Aussehen, über das sie sich sorgte, so etwas ließ sich wieder richten, es ging auch um andere Dinge, die nicht äußerlich erkennbar waren. Sie lagen tief in ihr verborgen. Es ging um die Seele, die Psyche, um ihre große Angst.
Die Angst vor ihm.
Er war da.
Kate wusste es genau, obwohl sie ihn nicht sah. Aber er war in der Nähe, er lauerte auf sie. Er hielt sie längst umfangen. Er war wie ein großer Krake, der seine Tentakel ausgestreckt hatte, um sie zu umschlingen. Er kannte kein Pardon, er zog den Kreis enger, und sie hatte plötzlich das Gefühl, von ihm eingekreist zu sein, obwohl sie ihn nicht entdecken konnte.
Kate drehte sich um. Das Bad war leer.
Sie lachte auf, dann ließ sie das Wasser laufen und spritzte es sich ins Gesicht. Die Kälte tat auf der erhitzten Haut gut. Immer wieder schlug sie sich das kalte Wasser ins Gesicht, stand gebückt, richtete sich dann auf, drehte den Hahn zu und nahm wieder Platz.
Mit der rechten Hand hatte sie nach dem Handtuch gegriffen. Kate trocknete ihr Gesicht sehr langsam ab. Sie schaute dabei nicht in den Spiegel.
Das Gefühl des Unwohlseins und der pressenden Angst hatte sich bei Kate in den letzten Sekunden gesteigert.
Er war nahe!
Das Tuch rutschte ihr aus den Händen und fiel zu Boden. Sie ließ es liegen.
Niemand – sie ausgenommen – befand sich im Bad. Dennoch war die Furcht bedrückend. Die Klammer, die auch ihre Seele umgab. Sie fühlte sich einsam und hilflos. In der Kehle steckte ein Kloß, und sie hätte nicht einmal sprechen können.
Kalt rann es ihren Rücken hinab, das alte Gefühl hatte sich wieder in ihr ausgebreitet.
Noch immer auf dem Hocker sitzend drehte sie sich um. Sie schaute nach rechts, nach links, blickte dann in den Spiegel, um auch erkennen zu können, was hinter ihr geschah. Aber da war nichts.
Kates Magen krampfte sich zusammen. Das Herz schlug schneller. Es war viel zu warm in diesem kleinen Bad ohne Fenster. Sie musste raus, bevor sich der Raum in eine Vorhölle verwandelte.
Dennoch blieb Kate sitzen. Es war eine Kraft in das Bad eingekehrt, die dafür sorgte, dass ihr eigener Wille so gut wie ausgeschaltet war. Sie gehorchte allein der anderen Kraft, die über sie herrschte. Kate war nicht mehr die Person, die sie einmal gewesen war. Sie fühlte sich in ihrem eigenen Körper fremd.
Er ist nicht nur nah, er ist ganz nah…
Dieser Gedanke ließ sie einfach nicht los. Der Ausdruck in ihrem Gesicht hatte sich verändert.
Als Kate wieder in den Spiegel schaute, da sah sie sich zwar selbst, aber es kam noch etwas hinzu, mit dem sie nicht zurechtkam.
Ein Großteil der Fläche hatte sich verändert. Der Spiegel war nicht mehr so blank, er hatte sich bezogen. Als hätte jemand etwas aus einer Sprühdose dagegen gesprayt.
Feuchtigkeit? Dampf?
Nein, das war es nicht. Kate hatte kein heißes Wasser laufen lassen. Das musste er sein.
»Leeland«, keuchte Kate, »Falco Leeland…«
Eigentlich hatte sie schreien wollen, aber dieser Schrei blieb ihr im Hals stecken.
Sie konnte nicht. Jemand leitete sie und hielt ihren Kopf so gerade, dass sie nur auf die ovale Spiegelfläche schauen konnte.
Kate sah sich.
Nein, sie sah sich nicht mehr. Ihr Gesicht fing an, sich zu bewegen. Es zitterte an den Rändern, dann stieß etwas aus dem Rückraum dagegen, und ihr Gesicht verschwamm allmählich. Es wurde diffus, viel größer als normal, denn es wuchs in seinen Ausmaßen dem runden Rand des Spiegels entgegen.
Das bin nicht mehr ich!, schoss es ihr durch den Kopf. Das kann ich nicht sein!
Die Panik stieg in ihr hoch. Sie war wie eine grelle Flamme und durch nichts aufzuhalten. Gleichzeitig fühlte sich Kate wie vereist, aber die weit geöffneten Augen waren einzig und allein gegen den Spiegel mit dem fremden Etwas gerichtet.
War er das?
Hatte er sie bereits so sehr übernommen, dass beide Gestalten – Falco Leeland und sie – miteinander verschmolzen. Für einen Moment hatte sie den Eindruck, dass sich etwas anderes hervorschälte, weder ihr Gesicht
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