0823 - Monster-Engel
Schriften trennen.
Alles lief darauf hinaus, dass er seine Strafe nicht voll abzusitzen hatte.
Vor Ablauf der zehn Jahre würde er die Anstalt wohl verlassen können.
Sogar mit einem Freigang auf Probe hatte Hogan schon gelockt, aber Leeland hatte nicht gewollt. Er war in seiner Zelle und bei seinen Büchern glücklich. Von seiner Familie wollte er ebenfalls nichts wissen. Er las, und oft genug machte er dabei die Nacht zum Tag, denn auch dann studierte er.
Die Nacht war wichtiger für ihn.
In der Dunkelheit hatte er das Gefühl, nicht allein zu sein. Schatten, die lebten, umgaben ihn, aber nur er war in der Lage, dieses Leben zu spüren.
Nach wie vor wollte er ein Engel werden, aber die Engel wollten ihn nicht.
Er hatte versucht, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Immer wieder hatte er sich die Figuren in der Kirche vorgestellt, doch sie betraten die Brücke nicht, die er ihnen auf geistiger Ebene gebaut hatte.
Allmählich kippte die Liebe zu den Engeln. Sie verwandelte sich in abgrundtiefen Hass.
Einen Satz hatte sich Falco zurechtgelegt. »Wenn ihr mich nicht wollt, dann eben andere!«
Die Vorbereitungen dazu hatte er schon getroffen. Sehr viel hatte er über die Verdammnis und die Hölle gelesen, und er wusste auch, dass es dort ebenfalls Engel gab.
Dunkle Engel, die irgendwann einmal in grauer Vorzeit in die Verdammnis gestoßen worden waren.
Ihnen fühlte er sich inzwischen näher als den anderen, und er hatte sich nicht grundlos die Bücher in der lateinischen Sprache besorgt. Es waren alte Schriften, neu aufgelegt, doch der Inhalt war derselbe geblieben. Von wirklich wichtigen Menschen geschrieben. Menschen, die schon damals hinter die Dinge geschaut und versucht hatten, sie in Beschwörungen und Formeln zu pressen. Das alles wusste auch er, und er würde versuchen, mit dem für ihn jetzt größten Engel in Kontakt zu treten.
Luzifer!
Allein, wenn er den Namen flüsterte, jage ein Schauer der Ehrfurcht über seinen Rücken. Er hatte keine Vorstellung von ihm. Die mittelalterlichen Zeichnungen, in denen der Teufel als bocksbeinige Gestalt mit Hörnern auf dem Kopf dargestellt war, wollte er nicht akzeptieren. Das war einzig und allein ein Machwerk der Menschen, die in ihrer Hilflosigkeit nicht wussten, wie sie das Böse darstellen sollten.
Auf der anderen Seite hatten sie ja auch Gott als alten weisen Mann gemalt, der auf den Wolken thronte und aus guten Augen auf seine Schäfchen niederschaute.
Das war Unsinn. Die Wirklichkeit sah anders aus, sie musste anders aussehen, und er würde versuchen, sie zumindest zu einem Großteil zu begreifen.
Ein Buch war besonders wichtig für ihn. Der Verfasser hatte über die dunklen Seiten der Seele geschrieben, die in jedem Menschen vorhanden war. Man musste sie nur locken, und er war zu dem Schluss gelangt, dass eben die dunkle Seite der Seele ein Stück Luzifer war.
Genau dieser Ansicht war auch Falco Leeland. Wenn diese dunkle Seite in jeder Seele steckt, dann musste sie auch bei ihm vorhanden sein. Seine Augen leuchteten jedes Mal, wenn er daran dachte. Dabei schoss ein warmer Strom durch seinen Körper, der ihm gut tat, denn er hatte einfach den Eindruck, auf dem richtigen Weg zu sein.
Voller Inbrunst hatte er die Texte studiert. Wort für Wort, Buchstabe für Buchstabe war er sie durchgegangen, und immer wieder waren ihm beim Lesen neue Gedanken gekommen, die er allerdings so kanalisiert hatte, dass sie in sein Denkschema passten.
Es gab nur einen Namen für ihn.
Luzifer!
Je mehr er über ihn und über Dinge las, die ihn betrafen, um so stärker wurde sein Wunsch, ihm zu dienen. Er wollte ihn kennen lernen, er wollte in einen hautnahen Kontakt mit ihm treten, und er wollte, dass er ihn berührte, denn dann würde etwas von seiner unglaublichen Kraft in ihn hineinfließen.
Für Falco Leeland war die Nacht und die damit verbundene Dunkelheit sehr wichtig.
Allein hockte er in der Zelle, umgeben von nackten, kahlen Wänden, die ihn allerdings nicht störten, denn er hatte das Gefühl, dass sie gar nicht vorhanden waren.
Wie immer saß er auf dem Boden, die Bücher um sich herum ausgebreitet. Man hatte ihm eine Taschenlampe gegeben, so konnte er auch in der Nacht lesen, wenn in den Zellen das Licht bereits abgeschaltet war.
Jetzt brauchte er sie nicht.
Im Dunkeln hockte er auf dem Boden und konzentrierte sich einzig und allein auf seinen neuen Freund.
Die entsprechenden Vorbereitungen waren von ihm getroffen worden.
Leeland hatte die
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