0829 - Der Alpen-Teufel
wilden Tirol. Aber ich fühle mich wie ein Gesetzeshüter, der auf den Killer lauert, wobei sich die Bewohner alle zurückgezogen haben, weil die Furcht vor dem Töter einfach zu stark ist.«
Links von uns lagen die Parkplätze des Hotels. Unser Leihgolf stand dort und hatte eine feuchte Schicht bekommen. Am Morgen würden die Scheiben sicherlich vereist sein.
Die paar Schritte bis zum Friedhof hätten wir schnell hinter uns gebracht, aber dazu sollte es nicht kommen. Als hätte jemand ein Zeichen gegeben, hörten wir über die Friedhofsmauer hinweg die Geräusche. Die hastigen, unregelmäßigen Tritte, das Jammern und auch Keuchen dazwischen, und plötzlich erschien eine Gestalt am Eingang, die eine Hand gegen ihr Gesicht gepreßt hielt.
»Okay«, sagte Suko nur und war schneller als ich. Bevor sich der Mann zum Dorf hin umdrehen konnte, hatte mein Freund ihn erreicht. Er brauchte nur stehenzubleiben, der andere lief gegen ihn und federte wieder zurück. Er wäre möglicherweise noch gefallen, doch Suko hielt ihn fest und zog ihn wieder näher.
Auch ich hatte die beiden inzwischen erreicht und schaute mir den Knaben genauer an. Erst sah ich, daß er ein Taschentuch gegen seinen Mund gepreßt hielt, um damit das Blut zu stoppen. Er keuchte und spie zugleich, er versuchte auch etwas zu sagen, und Suko war es, der ihn gegen die Friedhofsmauer drückte und ihm erklärte, daß alles in Ordnung wäre und er keine Angst zu haben brauchte.
Nur langsam beruhigte er sich. Dann sank auch seine rechte Hand nach unten. Trotz der schlechten Lichtverhältnisse konnten wir erkennen, daß die Mundpartie ziemlich zerschlagen aussah. Da waren die Lippen aufgeplatzt und blutverschmiert.
»Können Sie reden?« fragte ich.
»Kaum.«
»Wer hat das getan?«
Ich erhielt keine Antwort. Statt dessen schaute er uns mißtrauisch an und nuschelte: »Wer seid ihr überhaupt? Wo kommt ihr her? Von der Konkurrenz? Euch habe ich noch nie hier gesehen.«
»Wie meinen Sie das?«
Der Mann zupfte an seiner Lederjacke. Er war kleiner als wir und hatte eine Halbglatze. Auf mich machte er keinen sympathischen Eindruck, was nicht an seinen zerschlagenen Lippen lag. Das war einer, der sich überall durchwieselte, und ich hatte auch schon einen bestimmten Verdacht. Sicherlich stammte er von irgendeinem Blatt, das nicht eben zu den seriösen Gazetten zählte.
»Ihr seid doch hinter dem Alpen-Teufel her?«
»Und wenn es so wäre?«
Da lachte er gluckend. »Dann zieht euch mal warm an, Kollegen. Ich habe mir eben eine kaputte Schnauze geholt, als ich auf dem Friedhof wartete. Wußte gar nicht, daß dieser Alpen-Teufel einen derartigen Schlag hat und Kameras nicht leiden kann.«
Ich blickte nach dieser Antwort über die Mauer hinweg, ohne allerdings etwas entdecken zu können.
Ruhig lag der Friedhof vor mir, da war kein Mensch.
»Kennen Sie ihn?«
»Nein.«
»Aber…«
»Er kann es gewesen sein.«
»Wie sieht er denn aus?«
Wieder lachte der Kerl. »Groß, unheimlich.« Er drängte sich plötzlich zwischen uns durch und lief weg. Noch einmal drehte er sich um. »Schaut ihn euch selbst an!«
»Kollege - ha!« sagte Suko.
»Wie dem auch sei, der Kerl hat ganz schön was abbekommen, und ich kann mir vorstellen, daß sich der andere noch auf dem Friedhof aufhält.«
»Der Alpen-Teufel?«
»Keine Ahnung.«
»Das schauen wir uns mal aus der Nähe an«, sagte Suko, und ich hatte nichts dagegen…
***
Bert Rogner rührte sich nicht. Bisher hatte er immer nur gelesen, daß man als Mensch vor Schreck auch einfrieren konnte, nun erlebte er es am eigenen Leib.
Er war zu einer regelrechten Statue geworden, der andere aber nicht minder. Noch immer lehnte er an der Kirchenmauer und lauerte.
Das Gesicht schwamm in der Finsternis. Rogner wunderte sich, wie es möglich war, daß er es so gut erkannte. Beinahe sah es so aus, als würde unter der Haut ein Feuer brennen, ohne allerdings die Haut und die Knochen zu veraschen.
Warten, lauern…
Bert Rogner hörte seinen eigenen Herzschlag laut wie nie. Er dachte an die fünf Opfer und auch daran, welche Wunden der Mörder geschlagen hatte. Wie mit Krallenhänden.
Leider war das nicht möglich. Die Gestalt stand nicht nur dicht an der Mauer gepreßt, sie hatte die Arme auch strikt nach unten gestreckt und hart gegen den Körper gelegt.
Rogner fror. Er hörte auch Geräusche jenseits der oberhalb liegenden Mauer, aber er achtete nicht darauf, für ihn waren der Friedhof und die Kirche zu einem
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