0829 - Der Alpen-Teufel
Friedhof wirklich oft betreten. Zum erstenmal aber wunderte er sich über das laute Geräusch. Unter seinen Schuhen knirschten die kleinen Steine. Beim Gehen hatte er den Eindruck, daß man ihn bis in den hintersten Winkel des Friedhofs hören konnte, was ihm überhaupt nicht gefiel.
Annas Grab lag rechts vom Hauptweg. Nicht weit entfernt von den drei anderen frischen Gräbern der Ermordeten. Die vierte Person lag auf dem Friedhof von Inneralpbach, einige Kilometer entfernt. Aber vier Gräber waren genau vier zuviel.
Je näher er der Grabstätte kam, um so mehr drangen das Unbehagen und die Trauer in ihm hoch. Er hatte auch eine Gänsehaut bekommen, die den ganzen Körper erfaßt hatte.
Er schlug einen Bogen um das Grab seiner Freundin und ging dorthin, wo ein gewisser Paul lag.
Man hatte ihm einen Platz am Ende des Friedhofs zugewiesen, dicht an der Mauer, und um sein Grab kümmerte sich niemand. Es war ungepflegt und ließ auch den Allerheiligenschmuck vermissen. Nicht einmal ein Kreuz ragte aus dem Boden, denn Selbstmörder wurden mit keinem christlichen Symbol begraben.
Er blieb vor dem Grab stehen.
Viel konnte er nicht erkennen. Es war gewissermaßen platt. Gras und Unkraut wuchsen auf der schmalen Fläche, aber nicht nur dort, sie hatten sich auch ausgebreitet.
Er dachte an den Verstorbenen. Einer, der aus dem Ort stammte, sich aber das Leben genommen hatte, weil niemand etwas mit ihm zu tun haben wollte. Er hatte gestohlen und sich zudem an die Frauen herangemacht und sie mehr als einmal bedrängt. Dafür hatte er auch seine Prügel bekommen, aber immer wieder davon gesprochen, daß man von ihm noch hören würde. Jeder im Ort kannte Pauls Geschichte, nur behielt man sie für sich, den Leuten von der Presse war nichts erzählt worden, denn die hätten sich darauf gestürzt wie ausgehungerte Wölfe auf die Beute.
Die zweite Breitseite der Friedhofsmauer lag über ihm. Dahinter führte die Straße entlang, die erst in den Hängen bei einigen Hotels endete. Zwei Wagen rollten in diese Richtung. Von innen sah der einsame Mann nur das Licht der Scheinwerfer, das sich gespenstisch bleich auf dem Mauerrand bewegte.
Die Wagen verschwanden, Ruhe kehrte ein. Und Rogner schaute noch immer auf das Grab. Er wußte selbst nicht, was er hier suchte. Dabei hatte er das Gefühl gehabt, sich überzeugen zu müssen, daß der Tote noch in der Erde lag. Hätte er sie nämlich verlassen, wäre das Grab aufgewühlt gewesen.
Auch als er sich bückte, war nichts davon zu sehen. Er zündete ein Feuerzeug an, schirmte die Flamme mit der Hand ab und ließ den hellen Streifen über das Grab hinweggleiten.
Nichts zu sehen.
Er stellte sich wieder hin und wollte sich umdrehen, als er hinter sich das leise Lachen hörte, dann eine Stimme, die hämisch fragte: »Suchen Sie nach einem Zombie?«
Bert Rogner fuhr herum - und verzog das Gesicht, als ihm der grelle Blitz der Kamera entgegenschlug…
***
Für einen Moment wußte er nicht, wie er sich verhalten sollte. Noch einmal blitzte es, und er dachte plötzlich daran, daß er sehr dumm ausgesehen haben mußte. Aber dieser Gedanke war nur sehr flüchtig, denn gleichzeitig stieg eine irrsinnige Wut in ihm hoch. Dieser Blitz war bestimmt nicht von einem Geist abgegeben worden, irgendwo auf dem Friedhof mußte einer dieser Reporter gelauert und ihn gesehen haben.
Bert Rogner knurrte.
Dieses Geräusch hörte auch der Reporter, und er spürte, daß mit dem Knaben nicht gut Kirschen essen war. »Schon gut«, sagte er und ging zurück. »War nur ein Spaß, ehrlich, war nur…«
Rogner drehte durch. Er wuchtete seinen schweren Körper vor und rammte beide Fäuste gegen die Gestalt. Daß er dabei auch die Kamera traf und zerstörte, war ihm recht. Der Fluch des anderen törnte ihn noch mehr an, und mit einem gewaltigen Schwinger holte er den Kerl von den Beinen.
Der Kerl landete auf oder zwischen anderen Gräbern und stöhnte grausam.
Als Bert seine Hand zurücknahm, spürte er die Feuchtigkeit an seinen Fingern. Es war Blut. Er wischte es ab und ging dorthin, wo der Reporter lag. Der Typ hatte sich zur Seite gedreht und sein Gesicht gegen die Hände gepreßt. Er wimmerte und jammerte zugleich, schaute aus den großen Augen zu Rogner hoch und nuschelte: »Nicht mehr schlagen.«
»Keine Sorge, für dich reicht ein Hieb! Kannst du aufstehen?«
»… versuchen…«
»Dann pack dich!«
Der Mann wälzte sich herum. Das Metallkreuz benützte er als Stütze, um auf die Beine zu
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