083 - Das Gasthaus an der Themse
Gefühl wird täglich stärker. Million oder nicht, ich würde jedes Risiko eingehen — würde alles für dich tun.« »Was meinen Sie mit ›Million‹, Captain Aikness?« fragte Lila. Er hüstelte und war plötzlich sehr verlegen. »Ich dachte, Oaks sei schon bei dir gewesen und hätte mit dir gesprochen? Er hat es nicht getan, wie?« Sie lächelte. Er fühlte sich offensichtlich entsetzlich unbehaglich, und sie beherrschte die Situation. Es war für sie eine neue, fast amüsante Erfahrung, obwohl sie hinter der ungewohnt ergebenen Haltung dieses Mannes deutlich seine Gefährlichkeit spürte.
Er nahm seinen Hut vom Hocker und ging zur Tür. Dort blieb er noch lange stehen, als sei er uneins mit sich selbst. Dann sagte er unzusammenhängend: »Heute oder morgen ist es noch leicht. Danach — ich weiß nicht so recht. Du brauchst mir nur zu sagen, wann du gehen willst. Und kein Wort zu Oaks.«
Bevor sie antworten konnte, hatte er die Tür hinter sich zugemacht.
Er ging den steilen Niedergang hinauf und dann an Deck. Es war jedoch nicht das Deck seines seetüchtigen Schiffes, sondern eines großen Lastkahns. Die roten Segel waren gerefft, die falsche Flagge, unter der er fuhr, knatterte im Wind. Er trug den unromantischen Namen »Betty and Jane« und war am Rand einer Wiese vertäut, die sich bis zu einem bewaldeten Höhenzug erstreckte. Hinter der »Betty and Jane« lag ein zweiter Lastkahn, auf dem zwei Männer mühsam den Mast herunterholten. Achtern saß ein kleiner Mann in einem buntgestreiften Trikothemd und einer fleckigen Drillichhose und las Zeitung. Auf dem Kopf trug er eine viel zu große Schirmmütze, und nicht einmal ein guter Bekannter hätte in diesem verkommen aussehenden Skipper Golly Oaks aus dem »Mekka« erkannt.
Als der Captain näher kam, sah Oaks ihm über den Rand seiner Brille hinweg entgegen.
»Na, du bist wirklich schick, das muß man dir lassen«, sagte er. »Du hast wenigstens eine Woche gebraucht, bis dein Backenbart endlich nach was aussah, und dann rasierst du ihn wieder ab, weil du nicht willst, daß ein nettes junges Mädchen dich für achtundfünfzig hält.« »Ich bin zweiundfünfzig«, knurrte Aikness. »Deinem Verstand nach bist du höchstens zehn«, antwortete Oaks spöttisch, und sein rötliches Bärtchen schien sich zu sträuben. Dann fuhr er in völlig verändertem Tonfall fort: »Geh runter und zieh dir deine alten Sachen an, ja? Und nachher erzähle ich dir, was mit der ›Seal of Troy‹ passiert ist. Steht alles im Morgenblatt.« Aikness wurde blaß. »Wurde sie aufgebracht?« Oaks nickte. »O ja, sie haben sie aufgebracht und alles gefunden«, erwiderte er vergnügt. »Gold und Platin und Diamanten und weiß der Himmel, was noch alles. Und sie werden auch dich finden, Bill Aikness. Geh runter und zieh dich um.«
Aikness kletterte in eine quadratische Luke. »Brauchst du irgendwas von unten?« fragte er noch mürrisch, ehe er ganz verschwand.
»Ja«, antwortete Oaks, »bring mir ein Stück schwarzen Flor mit, ich möchte es mir um den Hals binden.« Captain Aikness sah ihn entsetzt an. »Du meinst doch nicht etwa —« begann er heiser und unterbrach sich dann.
Oaks nickte. »Und ob ich das meine. Alle Dinge haben einmal ein Ende, und dieses ist längst überfällig.«
20
John Wade hatte beantragt, die Verhandlung gegen Mrs. Oaks um zweiundsiebzig Stunden zu vertagen, um sich mit seinem obersten Dienstherrn in Verbindung setzen zu können, doch das Ministerium war auch nach diesen drei Tagen noch zu keiner Entscheidung gekommen. Man schien dort jedoch geneigt, die Anklage gegen Mrs. Oaks fallen zu lassen. »Die Beweise sind sehr dünn«, sagte ein Beamter aus dem Büro des Generalstaats-anwalts. »Ich bezweifle, daß sie für eine Verurteilung ausreichen. Wenn Sie glauben, weitere Beweise herbeischaffen zu können, lassen Sie noch einmal vertagen. Wir müßten das Gericht davon überzeugen, daß Mrs. Oaks der Frau von Sergeant Tappitt die Droge selbst verabreicht hat. Wie die Dinge liegen, könnten wir sie nur wegen Beihilfe zur Vorbereitung der Tat anklagen.« »Lassen wir ihr noch vier Tage Zeit«, sagte Wade eindringlich. »Ich glaube, sie wird reden.«
Mrs. Oaks war am frühen Morgen aus dem Holloway-Gefängnis abgeholt und in einer Zelle des Polizeigefängnisses untergebracht worden. Es war üblich, daß in einem solchen Fall Verwandte oder Freunde der Beschuldigten für ihre Verpflegung sorgten. Um halb neun erschien auch prompt eine Kellnerin aus einem
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