083 - Das Gasthaus an der Themse
sie zu vernehmen. Sie gaben französische Namen an, waren jedoch zweifellos Amerikaner, vermutlich französischer Abstammung. Als Wade sie in ihrer angeblichen Muttersprache anredete, konnten sie ihm nur gebrochen antworten.
»Wir leben seit dem letzten Herbst in Frankreich«, sagte der eine.
»Warum haben Sie die Vereinigten Staaten verlassen?« fragte Wade.
Darauf bekam er keine klare Antwort. Von dem Giftmord wußten sie natürlich nichts. Sie waren harmlose Touristen, die eine Woche in London bleiben wollten. Daß sie zwei geladene Pistolen bei sich hatten, erklärten sie damit, daß sie über die englischen Gesetze nicht im Bilde seien. Sie waren nie am nördlichen Themse-Ufer gewesen. Sie kannten Mrs. Oaks nicht und hatten noch nie etwas von den Gummimännern gehört. Sie waren nach London gekommen, um billig alte französische Möbel einzukaufen, konnten Wade aber nicht sagen, wo solche Möbel zum Verkauf standen. Zwei unerschütterliche Männer mit dünnen Lippen und einer Gesichtshaut wie aus Leder. Sie blieben völlig gelassen, bis man sie mit Handschellen aneinanderfesselte und mit einem Taxi nach Scotland Yard beförderte. Dann, aber wirklich erst dann, schien ihnen bewußt zu werden, was sie erwartete, und einer der beiden protestierte lautstark — allerdings nicht auf französisch. In der Zwischenzeit waren mehrere Detektive in die Pension gefahren, in der die beiden angeblich wohnten. Ihre Behauptung erwies sich als falsch. Doch wieder war das Glück mit der Polizei. Sie hatten sich nämlich nach ihrer Ankunft in dieser Pension tatsächlich nach einem Zimmer erkundigt. Der Portier erinnerte sich, daß er ihnen drei andere Adressen genannt hatte, da bei ihm nichts mehr frei war. Der Zufall wollte es, daß er die Adressen noch wußte, und in einem dieser drei Gasthäuser wohnten sie wirklich.
Unter der Matratze des einen Bettes fand Wade drei kleine Kristallfläschchen. Zwei waren mit einer Flüssigkeit gefüllt, die einen leicht bläulichen Schimmer hatte, das dritte war leer. Im doppelten Boden eines Schrankkoffers entdeckte Wade eine Kuriosität: ein merkwürdiges Gewehr mit einem kurzen Lauf und einem ungewöhnlich langen Kolben, der aussah wie ein Pistolengriff. Das Gewehr war noch nie abgeschossen worden, die Patronen noch in feuchtigkeitsabweisendes Papier eingepackt.
»Jetzt müßte man den › dritten Grad‹ anwenden können!« sagte Wade zornig. »Die Kerle würden singen wie die Nachtigallen.«
Um zwei Uhr morgens, als die Gefangenen ahnungslos den Schlaf der Gerechten schliefen, wurden sie von zwei Männern mit hochgestellten Mantelkragen und tief ins Gesicht gezogenen weichen Hüten geweckt. Die Gefangenen mußten sich rasch anziehen, man legte ihnen Handschellen an, und sie wurden durch die leeren Vernehmungszimmer auf einen stockfinsteren Hof gejagt. Dann trieb man sie über die Straße zu einem schwimmenden Landungssteg, wo eine große Polizeibarkasse auf sie wartete.
An Bord waren zwei Männer, und auch sie hielten ihre Gesichter verborgen, was die Gefangenen heftig erschreckte. Ein paar Minuten später legte die große Barkasse ab und lief bei einsetzender Ebbe schnell stromabwärts.
Sobald sie die London Bridge hinter sich gelassen hatten, fesselte Elk den beiden Männern die Füße. »Sagt mal, was soll denn das?« fragte der eine mit klappernden Zähnen. »Wollen Sie uns vielleicht umbringen?« »Mund halten!« fauchte Elk.
Eine Viertelstunde verging. Die Barkasse raste durch die Dunkelheit nach Osten. Niemand sprach ein Wort. Keiner wurde gewalttätig gegen die Gefangenen. Aber gerade das machte sie vor Angst halb wahnsinnig. Genau gegenüber dem Greenwich Hospital fing der eine an, gesprächig zu werden. Eine wahre Wortflut brach aus ihm heraus. In den frühen Morgenstunden kam die Barkasse nach Woolwich zurück. Wade und Elk ließen den redegewandten Häftling sein Geständnis unterschreiben. Er tat es bereitwillig, obwohl er sich völlig klar darüber war, daß es für ihn und seinen Komplizen lebenslänglich bedeuten konnte. Zu einer Zeit, zu der in London die ersten Frühaufsteher ihren Morgentee tranken, saßen zwei übernächtigt aussehende Inspektoren beim Chef der Kriminalabteilung und gingen das Geständnis Punkt für Punkt durch. »Trotzdem wissen wir noch nicht, wer der Auftraggeber ist«, sagte der Chef. »Man hat die beiden nach England kommen lassen, ihnen eine hohe Summe im voraus bezahlt und einen sehr großzügigen Wochenlohn zugesagt, den sie per Post
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