083 - Der Mann aus der Retorte
aus?"
„Vor allem Gebhard Stampfer von Vierort, der mich haßt. Aber auch der Oberhofmeister Georg Pobel von Lobkqwitz ist mir feindlich gesonnen."
„Hast du irgendwelche Freunde in Prag?"
„Michael Sendivoj, ein Pole, der sich Sendivogius nennt. Ein begabter Alchimist. Dann vielleicht noch Scotto, der früher Ratgeber der Katharina von Medici gewesen ist. Scotto läßt sich jetzt Hieronymus Scotus rufen. Er ist ein ausgezeichneter Magier, der sich vor allem auf die Kunst der Herstellung von magischen Puppen konzentriert, die er mit Nadeln durchsticht. Mit dieser Methode soll er schon einige von Rudolfs Feinden getötet haben."
„Deine Position an Rudolfs Hof ist also nicht sehr stark?"
„So kann man sagen", meinte Dee mißmutig. „Wenn du willst, dann nehme ich dich mit. Ich stelle dich Hagecius vor."
„Und ob ich will!" sagte ich begeistert.
„Nun zu dir. Erzähle mir, wo du dich in den vergangenen Jahren herumgetrieben hast!"
Es gab so viel zu erzählen, daß ich nicht wußte, wo ich beginnen sollte.
Schließlich erzählte ich Dee einige meiner Erlebnisse, und er hörte mir staunend zu.
Während des Mittagessens unterbrach ich meine Erzählungen.
„Hast du von dem Monster gehört, das sich in Prag herumtreiben soll?" fragte ich ihn, nachdem wir mit dem Essen fertig waren.
„Ja, ich hörte davon. Das Monster ist in aller Munde. Es wurde von vielen Leuten gesehen."
„Ich bin sicher, daß es ein künstlich geschaffenes Wesen ist", stellte ich fest.
„Das ist auch meine Meinung", stimmte Dee mir zu.
„Wer hat es geschaffen?"
„Darüber habe ich auch schon oft nachgegrübelt, Michele, aber keine Antwort gefunden. Eine Zeitlang glaubte ich, daß Vierort dahintersteckt, aber das kommt mir jetzt zu unwahrscheinlich vor." „Weshalb?"
„Vierort ist ein Scharlatan. Er kann auf keine echten Erfolge verweisen. Den Kaiser beeinflußt er mit seinen astrologischen Voraussagen, die aber nicht von ihm stammen. Er läßt sie von… Ich will lieber keine Namen nennen, aber ein ausgezeichneter Astrologe erstellt sie für Vierort. Vierort gibt sich auch als hervorragender Alchimist aus. Dem Kaiser hat er versprochen, aus der Retorte ein Mädchen zu erschaffen, das so schön sein soll, wie es die Welt noch nie gesehen hat. Doch Vierort kann nicht einmal einen Grashüpfer aus der Retorte schaffen. Dazu fehlen ihm einfach die wesentlichen Voraussetzungen."
„Könnte es einer der anderen Alchimisten am Hof sein?"
„Ich glaube nicht, daß irgendeiner in dieser Richtung experimentiert. Sie wollen alle Gold machen. Der Kaiser ist ziemlich verschuldet. Ich vermute, daß der Schöpfer des Monsters keinen Kontakt zum Hof hat."
„Hm. Und wer könnte da in Frage kommen?"
Dee schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung, Michele. Ich spreche mit Hagecius. Wenn er einverstanden ist, dann sende ich dir eine Botschaft, und du kommst in die Burg."
Einen Abend lang dachte ich nicht an das Monster.
Ich bekam eine Einladung in den Hradschin. Den Kaiser sah ich zwar nicht, aber ich lernte eine Reihe interessanter Persönlichkeiten kennen. Vor allem waren es Alchimisten, aber auch bedeutende Künstler. Einige waren mir auf Anhieb höchst widerlich, wie zum Beispiel Gebhard Stampfer von Vierort, ein etwa vierzigjähriger, arrogant wirkender Mann, der mich ziemlich herablassend behandelte. Mit Tycho Brahe und David Gans, dem Übersetzer der Alfonsinischen Tafeln, verstand ich mich augenblicklich.
Hagecius sicherte mir zu, daß ich jederzeit die Burg betreten durfte - und falls ich es wollte, auch Experimente durchführen konnte. Er ließ durchblicken, daß ich - sobald ich einige Ergebnisse erzielen würde - ständig am Hof wohnen dürfte. Aber darauf kam es mir nicht an. Ich war froh, daß ich Kontakt mit einigen der wichtigsten Persönlichkeiten des 16. Jahrhunderts hergestellt hatte; alles andere würde sich finden.
Die nächsten Tage verbrachte ich hauptsächlich im Hradschin. Einmal sah ich Rudolf II., dem ich vorgestellt wurde. Auf mich machte der Kaiser keinen sonderlichen Eindruck. Er war schlank und trug einen sorgfältig gestutzten Spitzbart.
Ich freundete mich mit David Gans an, nicht ohne Hintergedanken, wie ich zugeben muß. Gans war Jude. Er war nicht der einzige Jude am Hof. Rudolf beschäftigte auch zwei jüdische Goldschmiede, Josef des Cerui und Jakob Goldschneider. Außerdem war Mordechaj Maisl immer zur Stelle, wenn Rudolf knapp bei Kasse war - und das war er oft. Rudolf hatte Maisl den Titel eines
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