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083 - Der Mann aus der Retorte

083 - Der Mann aus der Retorte

Titel: 083 - Der Mann aus der Retorte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dämonenkiller
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kaiserlichen Rates verliehen.
    David Gans war ein umgänglicher Mann, der meist heiter und vergnügt war. Er hatte eine Geschichte des Talmuds verfaßt und war Astrologe und Mystiker.
    Eines Abends - wir saßen zusammen in einem alten Gasthaus unweit der Karlsbrücke - brachte ich die Sprache auf das Monster, das sich noch immer in Prag herumtrieb.
    Gans sah mich nachdenklich an, als ich Rabbi Elija von Chelm erwähnte und einige Verse des 139. Psalms aufsagte. Er wischte sich den Bierschaum vom Bart und seufzte.
    „Ich kenne das alles, Michele", meinte er und beugte sich vor. „Ich kann dir auch das Rezept zur Herstellung eines Golems verraten. Es ist in der Pseudo-Saadia, einem anonymen Kommentar zum Buch Jezira verzeichnet. Dort heißt es: Nimm Staub von einem Berg, jungfräuliche Erde, und streue davon im ganzen Haus aus und reinige deinen Körper. Aus jenem reinen Staub mache einen Golem, die Kreatur, die du sc haffen und beleben willst, und über jedes Glied sprich den Konsonanten, der im Buch Jezira zugeordnet ist, und kombiniere ihn mit den Konsonanten und Vokalen des Gottesnamens."
    „Das ist ja recht interessant", sagte ich nachdenklich. „Der Begriff jungfräuliche Erde erinnert mich an die Jungfernmilch, wie früher die materia prima bezeichnet wurde."
    Gans nickte zustimmend, dann lächelte er. „Bei Elesar aus Worms stehen Abhandlungen über das Wesen der Chassiduth neben Traktaten über Magie und die Wirksamkeit der geheimen Namen Gottes. Dort finden sich auch die ältesten Rezepte zur Herstellung des Golem, bei denen sich magischer Buchstabenzauber mit Übungen verbindet, die dazu dienen, Bewußtseinszustände hervorzurufen. Ursprünglich schien es, daß der Schöpfer nur in einem Zustand der Ekstase den Körper aus Staub beleben konnte."
    „Unter den Juden ist demnach der Glaube an den Golem fest verwurzelt?"
    „Richtig. Der Golem faszinierte mich schon seit langer Zeit, Michele. Der aus Lehm geschaffene Golem soll angeblich zum Leben erwachen, sobald man ihm das Wort Emeth, was Wahrheit heißt, auf die Stirn schreibt. Streicht man aber das E von Emeth, so bleibt nur Meth, was tot heißt, und der Golem zerfällt zu Staub. Nach einer anderen Version soll man ihm folgendes auf die Stirn schreiben: JHWH Elohim Emeth, was soviel wie Gott, der Herr Jehova, ist Wahrheit, bedeutet. JHWH ist der Name des Herrn."
    „Ist dir bekannt, ob es tatsächlich gelang, einen Golem zu schaffen, David?"
    „Vor langer Zeit, ich war noch ein Knabe, traf ich einen Juden, der mir erzählte, daß er lange Zeit in Polen gelebt hätte. Er behauptete, daß in einer kleinen Ortschaft, die fast ausschließlich von Juden bewohnt wurde, sich einige Bewohner eingehend mit der Herstellung von künstlichen Menschen beschäftigt haben. Und angeblich sollen sie Erfolg gehabt haben. Sie formten aus Lehm eine menschenähnliche Gestalt und beteten und fasteten einige Tage. Danach riefen sie den Namen Gottes an, schrieben das Emeth auf die Stirn, und der aus Lehm geschaffene Mensch erwachte zum Leben. Den Bewohnern wurden aber die künstlichen Menschen unheimlich, da sie ständig wuchsen. Einige sollen mehr als vier Meter groß geworden sein. Nur mittels einer List gelang es, den ersten Buchstaben zu löschen."
    „Also sind das alles nur Gerüchte", sagte ich enttäuscht.
    „In allen Sagen und Überlieferungen steckt ein Körnchen Wahrheit", meinte David Gans.
    Ich überlegte kurz. „Das Monster, das ich sah, hatte keine Buchstaben auf der Stirn. Es war zwar ziemlich dunkel, aber ich hätte es trotzdem sehen müssen. Dafür hatte es Nähte auf der Stirn. Wenn ich mich nicht getäuscht habe, dann waren es drei."
    David rief dem Wirt zu, daß wir noch zwei Bier wollten.
    „Nehmen wir mal an, daß es tatsächlich irgend jemandem gelungen ist, einen Golem zu schaffen. Einiges deutet darauf hin - vor allem die Größe des Monsters. Würde der Golem nur seinem Schöpfer gehorchen?"
    „Das ist eine kaum zu beantwortende Frage", meinte David Gans. „Aber es ist durchaus denkbar, daß er jedem Menschen gehorcht. Ein Gelehrter vertrat die Ansicht, daß der Golem immer so lange einem Menschen gehorcht, bis er dessen Befehle ausgeführt hat. Danach kann ihm jeder einen anderen Befehl geben. Aber das sind alles nur Theorien, die durch nichts bestätigt oder bewiesen werden können."
    Ich nickte dem Wirt zu, der die Krüge vor uns auf den Tisch stellte, und prostete dann David zu. „Mir läßt dieses Monster keine Ruhe", sagte ich, nachdem

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