083 - Der Tod trägt eine Maske
Messer am liebsten herausgeschnitten, um nicht länger gezeichnet zu sein. Aber das hätte nichts genützt. Die »Bande der Auserwählten« wußte von dem Mal. Er konnte es ausschneiden oder ausbrennen, für diese Leute würde er ein Gezeichneter bleiben.
Das Pferd stolperte über eine Geröllhalde. Aus der düsteren Schlucht, in die Yerdyn unterwegs war, wehte ein kalter Wind. Der Junge fröstelte und klapperte mit den Zähnen, während von seiner Schulter eine fiebrige Hitze ausging, die sich mehr und mehr ausbreitete. Bald würde sie seinen ganzen Körper erfassen, und er würde an diesem Wundfieber sterben.
Scarpatt… Dieser gute Freund war so weit weg. Wie sollte ihn Yerdyn erreichen? Sein Vater hatte ihn gelehrt, immer optimistisch zu denken. »Du darfst niemals resignieren, mein Junge«, hatte er stets gesagt.
Dennoch war Yerdyn jetzt nahe daran, es zu tun. Er konnte nicht mehr, schaffte es kaum noch, auf dem Pferd zu bleiben. Kam der Optimismus in dieser Situation nicht einer dummen Selbsttäuschung gleich?
Die Schmerzen… Diese verdammten, glühenden Schmerzen…
Er lenkte sein Pferd nicht mehr, ließ es einfach laufen, und mit einem letzten Fünkchen Hoffnung wünschte er sich, daß ihn das Tier in Sicherheit brachte. Aber war das nicht zuviel verlangt? Das Pferd wußte nicht, worum es ging. Wenn er es nicht mehr antrieb, würde es irgendwann stehenbleiben.
Yerdyn fiel das Auge zu. Er sah die grünen Flammen, die die Blockhütte aufgefressen hätten, wieder. Manche Wesen werden geboren, um zu verlieren, dachte er.
In seinem Inneren lehnte sich alles gegen das Schicksal auf.
Ich bin kein Verlierer! schrie es in ihm. Mein Vater brachte mir bei, zu kämpfen und zu siegen ! Ich darf ihm keine Schande machen. Ich muß kämpfen .
Er erreichte Felsen. Manche waren schlank wie steinerne Nadeln. Die schattigen Zwischenräume waren groß genug, um einen Reiter mit seinem Pferd aufzunehmen.
Yerdyn lenkte sein Tier zwischen die hohen Steine und stieg ab. Fast wäre er vom Pferd gefallen . Er schob das Tier von sich und nahm das Jagdmesser in die Hand.
Ich werde kämpfen, dachte er. Und ich werde entweder siegen oder verlieren. Aber ich werde vor diesem Hund nicht mehr davonlaufen.
Zwischen zwei Felsen schob er sich hoch. Wenn der Pfeil an den Fels stieß, verdoppelte sich der Schmerz, und Yerdyn stöhnte auf. Aber er kletterte weiter.
Und dann wartete er auf seinen Verfolger.
Er brauchte nicht lange zu warten. Dumpfes Hufgeklapper verriet ihm, daß der Dreiarmige schon sehr nahe war.
***
Sonoboo hatte das Jagdfieber gepackt. Im Moment hatte er Yerdyn zwar aus den Augen verloren, aber er war sicher, daß er den Jungen bald wiedersehen würde.
In dieser Schlucht wollte Sonoboo das Opfer zur Strecke bringen. Er wußte noch nicht, ob er Yerdyn töten oder nur so schwer verletzen würde, daß er kampfunfähig war.
Die Situation würde es ergeben. Alcarrax waren lebende Opfer natürlich lieber. Aber wenn Yerdyns Gegenwehr zu heftig war, würde Sonoboo kurzen Prozeß mit ihm machen.
Der Markiase ließ die Geröllhalde hinter sich. Er war wachsam, denn er wußte aus Erfahrung, daß angeschlagene Gegner doppelt gefährlich sein konnten.
Sonoboo bewunderte Yerdyn ein wenig. Er selbst hätte mit einem Pfeil in der Schulter nicht so lange durchgehalten. Yerdyn war unglaublich zäh. Sonoboo konnte Schmerzen nur sehr schlecht vertragen, deshalb wagte er nie zuviel und ging Gefahren, die er erkannte, lieber rechtzeitig aus dem Weg.
Dies war mit ein Grund, warum er der »Bande der Auserwählten« angehörte. Sein Vater hatte ihm die Zugehörigkeit vererbt. Er hätte sie ablehnen können, dann wäre jemand anders für ihn eingesprungen, aber er war nicht verrückt.
Er hatte damit gerechnet, daß es bald Zeit war für ein neuerliches Erscheinen von Alcarrax, und nur die »Bande der Auserwählten« hatte von ihm nichts zu befürchten. Vorausgesetzt, sie opferte ihm genügend grüne Wesen.
Aus diesem Grund durfte ihm Yerdyn nicht entkommen. Er brauchte den Einäugigen für Alcarrax. Yerdyn war ein Gezeichneter, und je mehr davon sie für den puppenköpfigen Dämon herbeischafften, desto größer wurde ihre Chance, verschont zu bleiben.
Yerdyn mußte sterben, damit er, Sonoboo, am Leben blieb. So einfach war diese Rechnung. Es war ein Tausch. Ein Leben für ein anderes. Sobald sich kein Geröll mehr unter den Hufen seines Pferdes befand, trieb Sonoboo sein Tier an.
Er wurde nun doch ein wenig unruhig, weil er den
Weitere Kostenlose Bücher