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0830 - Der Tod des Unsterblichen

0830 - Der Tod des Unsterblichen

Titel: 0830 - Der Tod des Unsterblichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Montillon
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die großen Zusammenhänge nicht gekannt, nicht gewusst, was er heute wusste. Er hatte nur beobachtet, doch heute tat er mehr als das. Heute kam er als Rebell. Als jemand, der das Unrecht, das hier im Namen eines alten Gesetzes geschah, nicht zu dulden gewillt war.
    Und damals hatte er nicht gesehen, was er heute sah. Der Atem stockte ihm.
    Es waren nicht einige Bäume, die hier standen.
    Es waren nicht einmal viele Bäume.
    Es war ein sich ins Unendliche erstreckender Wald aus knorrigen, toten Gewächsen.
    »Andrew«, hauchte er fassungslos. »Es sind zehntausende von Bäumen.«
    »In jeder Krone hängt ein Käfig«, erwiderte der Angesprochene. »Wie viele Auserwählte darben hier?« Jede Färbe war aus seinem Gesicht gewichen.
    Zamorra starrte an den ewigen Reihen entlang. Die Bäume ragten einige Meter auf, und in verschiedenen Höhen hingen die Käfige. Halbrund und wie aus dicken Metallstäben gefertigt. Die Gitterstäbe standen nicht eng beisammen, sondern wiesen Zwischenräume von wenigstens dreißig Zentimetern auf. Sie konnten es nicht sein, die die Gefangenen am Ausbruch hinderten - das eigentliche Gefängnis bestand zweifellos aus einer magischen, undurchdringlichen und unsichtbaren Wand.
    Nicht alle Käfige waren besetzt; es war sogar so, dass die überwiegende Menge von ihnen leer stand. Zumindest in dem von den beiden überschaubaren Bereich. Doch in einigen saßen die Seelen von Gefangenen. Ehemalige Auserwählte…
    Zamorra krampfte es bei diesem Gedanken das Herz zusammen. Er biss die Zähne zusammen und starrte in einen der besetzten Käfige.
    Was sich darin befand, war nicht im eigentlichen Sinn ein Mensch, obwohl es so zu sein schien. Es war, als säße ein etwa vierzigjähriger Mann mit schwarzen Haaren und abgemagerter Statur darin, doch der Körper dieses Gefangenen war schon vor langer Zeit gestorben. Dieser Körper war Schein, eine Projektion der Seele, die hier litt.
    Es vergingen einige Sekunden, ehe der Gefangene darauf aufmerksam wurde, dass jemand vor seinem Käfig stand. Müde wandte er den Kopf und blickte auf den Meister des Übersinnlichen. Wahnsinn flackerte in den dunklen Augen, und er öffnete den Mund. Verfaulte Zähne steckten locker im Zahnfleisch. Die Lippen bewegten sich zuckend und krampfhaft. Eine Zunge kam zum Vorschein, die sich wie in Zeitlupe bewegte. Ein unartikulierter Laut entrang sich der Kehle.
    »Gib mir das Langka«, bat Zamorra leise, bis ins Innerste erschüttert. Er wollte über ihre Vermutung Gewissheit erlangen.
    Andrew überreichte Zamorra den magischen Gegenstand. Der Meister des Übersinnlichen berührte das Langka… und blickte hinter die Kulissen dessen, was hier geschah. Es war genau, wie sie vermutet hatten.
    Aus dem Himmel zuckten immer wieder magische Blitze auf den Gefangenen herab und entluden sich in den Käfig, der sich als grün glühende Kugel darstellte. Zamorra sah die Magie, die das eigentliche Gefängnis darstellte. Und er sah die negative Energie, die aus dem Himmel der Hölle der Unsterblichen kam, um den Gefangenen zu quälen.
    Und zugleich wusste er noch mehr. Auf irgendeine Weise übertrug das Langka Informationen in Zamorras Gehirn. Der in diesem Käfig Gefangene hieß Karima. Er hatte vor zehntausend Jahren gelebt. Vierhundertdreiundneunzig Jahre lang hatte er die Mächte der Finsternis bekämpft, ehe er einem Anschlag der Höllischen zum Opfer gefallen war. Vor neuntausendachthundertsiebzehn Jahren…
    Diese Zahlen offenbarten sich ihm, und gerade ihre Genauigkeit war es, die Zamorra unter der Wucht der entsetzlichen Erkenntnis wanken ließ. Sie ließen nicht den geringsten Spielraum, den Schrecken zu mindern.
    Karima saß seit nahezu zehntausend Jahren in diesem Käfig gefangen.
    Zamorra fiel es schwer zu atmen. Das Langka übertrug noch weitere Informationen. Zamorra erkannte, wer den Auserwählten Karima damals hierher geführt hatte. Er warf einen Blick in die Abgründe der Zeiten, sah die Höllenhierarchie vor vielen tausend Jahren. Er wusste, dass…
    Mit einem Aufschrei ließ er das Langka los. Es fiel zu Boden und blieb vor Zamorras Füßen liegen. Seine Hände zitterten.
    »Was hast du gesehen?«, fragte Andrew.
    »Heb es… nicht auf«, erwiderte Zamorra stockend. »Noch nicht.« Die Wahrheit war entsetzlich, und in Zamorra stieg die Frage auf, wie lange schon Auserwählte zur Quelle des Lebens geführt wurden und ob der Erbfolger Llewellyn wirklich der einzige war, der dieser Aufgabe nachging. Wer wusste, ob es nicht

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