0830 - Der Tod des Unsterblichen
darüber nachdenken, wie wir dieses Zeitfeld umgehen können. Es nützt keinem von uns, wenn Nicole zum Skelett wird. Wir können sie nicht zurücklassen, das ist Bestandteil unserer Partnerschaft.« Man hörte ihrer Stimme genau an, was sie von dieser Einschränkung hielt. »Man ist schließlich immer nur so stark wie das schwächste Glied. Nicht wahr, wir helfen uns gegenseitig.«
Nicole hörte auch die Worte ganz genau, die die Vampirin nicht aussprach: Und wann hilfst du uns, Nicole?
»Du hast Recht«, stimmt Amos Angélique zu. »Wobei durchaus die Möglichkeit besteht, dass wir Nicoles Skelett durch das Zeitfeld tragen - es wäre nicht viel anders als zuletzt. Ob ich ein Baby trage oder ein Skelett - wo ist der Unterschied?«
»Es ist ein gewaltiger Unterschied!«, giftete Nicole. Sämtliche Farbe wich aus ihrem Gesicht bei dieser Vorstellung. »Ich bin nicht bereit zu sterben, nur damit wir…«
»Du wirst nicht sterben«, widersprach Angélique. »Dein Körper wird lediglich die Form annehmen, die er…«
»Lass die Haarspaltereien«, unterbrach Nicole. »Ich werde nicht freiwillig in diese Zukunft spazieren!«
»Wir werden versuchen, die Grenzen des Zeitfeldes zu entdecken und es zu umgehen«, beendete Amos die Diskussion. »Es ist die einzige Alternative, die uns bleibt.«
»Wie willst du das tun?«, fragte Nicole.
»Ganz einfach.« Der ehemalige Höllenfürst sah Nicole direkt ins Gesicht.
»Du wirst ganz langsam vorgehen, auf das Feld zu. Strecke deine Hände aus… und wenn sie skelettieren, wissen wir, dass wir einen Punkt der Grenze gefunden haben. Auf diese Weise werden wir am Rand entlanggehen, bis wir ein Ende finden.«
Nicoles Nackenhaare stellten sich bei dieser Vorstellung, doch sie nickte. »Allerdings sollten wir uns abwechseln. Ich habe keine Lust, stundenlang auf meine Fingerknochen zu blicken.« Sie versuchte locker zu sein, doch ihr Versuch, Humor zu zeigen, scheiterte. Ihre Stimme spiegelte das Grauen, das sie empfand, deutlich wider.
»Wenn du den Rand gefunden hast, werde ich meine Hand ebenfalls hineinstrecken. Wenn sie sich verändert, kann ich ebenfalls als Indikator für die Zeitgrenze gelten. Ich bezweifle allerdings, dass ich etwas anderes sehen werde als meine Hand.« Amos räusperte sich. »Ich gedenke nicht, irgendwann zu sterben.«
Nicole hörte die Neugierde in seinen Worten. Sie trat vor, die Arme ausgestreckt. Nach wenigen Schritten wiederholte sich das grausige Phänomen. Sie fühlte nicht den geringsten Schmerz und musterte die Stelle an ihrem Unterarm, wo das Fleisch endete. Genau hier lag die Grenze des Zeitfeldes. In morbider Faszination gefangen, hielt sie den Arm schräg, um auf die Schnittfläche blicken zu können. Sie sah Adern, die plötzlich endeten, halbierte Muskelstränge… Kein Tropfen Blut trat aus. Sie spürte, wie sich ihr Magen bei diesem Anblick zusammenzog.
Amos stellte sich neben Nicole. »Wir werden sehen, was geschieht«, murmelte er und streckte die Hand aus.
Als die Hand die unsichtbare Grenze überschritt, geschah etwas, das sie alle verblüffte. Amos’ Haut überzog sich mit grünen Schuppen. Rasch zog er sie wieder zurück.
»Unfug!«, zischte er. »Es ist genau, wie Angélique sagte. Diese Zukunft muss nicht der Realität entsprechen. Außerdem liegt sie vielleicht Jahrmillionen von uns entfernt. Vielleicht ist es dann in, Schuppen zu tragen.«
Doch danach ließ er sich nicht mehr dazu bewegen, in das Zukunfts-Zeit -feld zu fassen. Nicole sah deutlich die Unsicherheit in der Mimik des ehemaligen Höllenfürsten.
Ein Zufall kam ihnen zu Hilfe. Der Rand des Zeitfeldes knickte schon nach wenigen Minuten im Neunzig-Grad-Winkel ab, und sie konnten ihren Weg zur Festung fortsetzen. Nicole zog die Hand zurück und betrachtete erleichtert wieder ihre Haut. »Hoffen wir, dass das Feld rechteckig ist und nicht ein Ausläufer von ihm vor uns liegt, in den wir hineinstolpern.«
»Wer weiß«, erwiderte Angélique nüchtern.
»Wir werden vorsichtig sein und hintereinander gehen«, ergänzte Sid Amos. »Wenn jemand von uns dort hineingelangt, werden die anderen ihn herausholen. Ich weiß ja zumindest, dass ich dort noch existiere. Oder existieren werde.«
Doch ihre Befürchtungen waren grundlos. Sie erreichten den Fuß des Bergmassivs ohne weiteren Zwischenfall. Nicole hob den Kopf. Über ihnen prangte in einigen hundert Metern Höhe eine mittelalterlich anmutende Festung auf einem Gipfel.
Ein steiler Pfad führte nach oben. Die
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