0832 - Das Siebte Siegel
von über hundert Jahren. Fooly, der erst am Anfang seines langen Drachenlebens stand, war in Wirklichkeit älter als Zamorra. Und der Professor fragte sich, was der Drache in diesen hundert Jahren alles erlebt haben mochte. Auch im Drachenland ging nicht alles friedlich zu.
»Am einfachsten wäre es, die ganze Sache zu wiederholen und Nicole so zu folgen«, überlegte Zamorra. »Aber das funktioniert natürlich nicht. Das Buch kann nicht mehr zerstört werden, es ist bereits zerstört. Also muss ich mir etwas anderes einfallen lassen.« Er sah Fooly an. »Deine Drachenmagie…«
»Nein, nein, nein, nein, nein! In Worten und zum Mitschreiben, Chef: Nein!«, protestierte Fooly. »Nicht schon wieder meine Drachenmagie! Mir reicht es, dass ich damit Mademoiselle Nicole unterstützen sollte. Das hat nicht geklappt. Und wenn bei dir auch was schief geht, dann bin wieder mal ich der Schuldige, ja? Das kommt gar nicht in die Tüte, Chef . Vergiss es!«
»Ich werde dir nicht die Schuld geben.«
»Und ich werde mich trotzdem nicht mehr auf so etwas einlassen. Das ist mir zu gefährlich. Gestehst du bitte einem Drachen zu, dass auch er mal Angst haben darf? Und ich habe eine schleichhasengemeine Angst! Davor, dass auch du verschwindest! Was soll ich dann machen?«
»Aber ich kann das hier doch nicht einfach auf sich beruhen lassen! Ich kann doch Nicole nicht im Stich lassen! Ich muss sie zurückholen.«
»Aber nicht mit Drachenmagie!«, maulte Fooly. »Da mache ich nicht mehr mit. Mann, Chef, ich mache mir schon größte Vorwürfe, dass ich Nicole zu helfen versucht habe. Vielleicht hat sie es nur deshalb versucht! Vielleicht hätte sie darauf verzichtet, wenn ich Nein gesagt hätte! Aber ich Narr habe mich weichkochen lassen mit der Möglichkeit, in ihrem Cadillac mitzufahren! Womit willst du mich ködern, Chef?«
Zamorra schüttelte den Kopf. »Ich will dich nicht ködern, kleiner Freund. Wenn du nicht willst, werde ich dich nicht drängen. Dann muss ich mir eben etwas anderes einfallen lassen.«
Fooly schwieg und überlegte, was er vielleicht unternehmen konnte. Ohne Zamorra!
Der fasste plötzlich nach Foolys Schulter.
»Sieh dir das an«, brachte er zwischen zusammengepressten Lippen hervor. »Siehst du, was ich sehe?«
»Ich weiß nicht, ob ich sehe, was du siehst«, murmelte Fooly. »Ich sehe - ein Siegel!«
»Das siebte Siegel«, sagte Zamorra. »Es hat sich geöffnet!«
***
Tatsächlich - es hatte sich geöffnet. Das Siegel war geborsten, die Seiten des Kapitels lagen frei.
Langsam ging Zamorra darauf zu.
Den Gedanken, es könne sich beim Aufprall auf den Boden geöffnet haben, konnte er gleich von sich schieben. Dann wären die einzelnen Seiten sicherlich nicht mehr zusammengeheftet. Nein, das Siegel hatte sich anschließend geöffnet. Nach dem Aufschlag und nach Nicoles Verschwinden.
»Verrückt«, murmelte er. »Das ist total verrückt!«
Es bedufte eigentlich eines komplizierten Rituals, ein Siegel zu öffnen, und das gelang auch nur, wenn das Buch aus irgendwelchen Gründen dafür bereit war. In letzter Zeit gab es aber auch Ausnahmen - Siegel öffneten sich gewissermaßen von selbst, ohne Zamorras Zutun, überraschten ihn damit, weil er nicht schon oder nicht mehr mit dem Erfolg seines jeweiligen Versuchs gerechnet hatte.
So wie jetzt…
Und jedes Mal, wenn ein Siegel geöffnet wurde, war die rätselhafte Katze im Château, um danach so spurlos wieder zu verschwinden, wie sie aufgetaucht war.
»Deshalb ist sie also jetzt schon wieder hier«, murmelte Zamorra. »Weil ein Siegel bereit war…«
Das siebte Siegel!
Sieben von dreizehn - genau das »in der Mitte«. Die Hälfte der Siegel waren jetzt also offen.
Zamorra näherte sich dem Buchkapitel, das bislang verschlossen gewesen war. Jetzt aber konnte er in den Seiten blättern. Er konnte den Text zu lesen versuchen, der in einer uralten dämonischen Sprache verfasst war, und er konnte die Bilder betrachten, die sich dann zu bewegen begannen und ihm eine Geschichte erzählten.
Zumindest bisher war es immer so gewesen.
Zamorra kauerte sich vor dem Kapitel auf den Boden.
Irgendwo bei den Ritterrüstungen maunzte die Katze. Es klang ziemlich kläglich. Als Zamorra zu ihr hinschaute, bemerkte er, dass sich ihr Fell gesträubt hatte. Die Ohren lagen flach an, und der Schweif peitschte nervös hin und her.
Etwas stimmte nicht.
»Pass auf, Chef!«, warnte Fooly. »Da stimmt was nicht! Du…«
Zamorra sah wieder die aufgeblätterten Seiten an.
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