0836 - Das Puppenmonster
weggeschminkt worden, und sie wirkte jetzt wesentlich jünger. Marsha lächelte sie im Spiegel an. »Sind Sie zufrieden, Leona?«
»Ja, wunderbar.«
Marsha trat einen kleinen Schritt zurück. »Es geht mich ja nichts an, aber ich denke, daß wir schon lange genug zusammengearbeitet haben und uns gut genug kennen…«
»Bitte, was meinen Sie?«
»Nun ja, Sie sahen heute etwas abgespannt aus.«
Leona mußte lachen. »Abgespannt ist gut. Sie haben recht, Marsha, aber ich habe auch eine schwere Nacht hinter mir. Es war gar nicht gut, was da bei uns passiert ist.«
»Der Mord, nicht?«
»Was sonst?«
Marsha nickte. Sie knetete ihre Hände und wirkte verlegen. Sie schaute zu Boden, dann hob sie die Schultern an. »Pardon, ich wollte Sie nicht noch mal daran erinnern, aber es kam einfach über mich. Entschuldigen Sie.«
»Schon vergessen.« Leona räusperte sich. »Kommen Sie dann kurz vor dem Auftritt noch einmal zu mir?«
Marsha verstand, was die Frau mit diesen Worten hatte andeuten wollen. »Natürlich, wie immer.«
»Danke.«
Die Garderobiere verließ den Raum, und Leona lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. Zischend atmete sie aus. Ihre Hände zitterten. Sie holte eine Zigarette aus der neben ihr liegenden Schachtel, zündete das Stäbchen an, blies den Rauch der Spiegelfläche entgegen und schaute dort zu, wie sich die Wolken verteilten.
Ivy lag noch immer am selben Platz, hatte sich nicht bewegt und auch nichts gesagt.
Leona rauchte. Sie wollte sich auf ihren Auftritt konzentrieren, auf den Text, den sie zu sagen hatte, aber in ihrem Kopf lag eine Leere, die sie alles hatte vergessen lassen. Sie kam überhaupt nicht mehr zurecht. Alles war so anders und furchtbar geworden, ihr Leben hatte sich in einer Nacht total verändert.
Wie war es möglich gewesen, daß sich eine normale Puppe derartig veränderte?
Bevor sie sich weiter den Kopf darüber zerbrechen konnte, klopfte es an der Tür, die sofort aufgedrückt wurde. Im Spiegel sah Leona, wer die Garderobe betreten hatte.
Es war Sam Gorman, der Toningenieur.
»Du?« staunte sie laut.
»Ja, ich.«
»Hast du dich verlaufen?«
»Nein, ich wollte zu dir.« Sam gab sich locker. Er trug blaue Jeans und einen hellen Pullover. Auf dem Stuhl rechts neben Leona fand er seinen Platz.
Sie war irritiert. »Was blickst du mich so an, Sam?«
»Wie geht es dir?«
Leona hob die Schultern.
»Der Mord in deinem Haus war schlimm, nicht wahr?«
»Hör auf damit!«
Sam hörte nicht auf. »Vor allen Dingen, wenn man bedenkt, wer der Mörder gewesen ist.«
Die Frau saß plötzlich unbeweglich. Etwas drückte sich in ihrem Kopf zusammen, nur kam sie nicht darauf, was es genau war. Eine Ahnung, mehr noch nicht. »Was wolltest du denn damit sagen, Sam?«
Er lachte scharf, drehte sich etwas, streckte seinen Arm aus und streichelte Ivy. »Sie war doch gut genug, nicht wahr?«
Leona Lockwood hatte die Worte gehört. Sie wiederholte sie auch in ihrem Innern, und das Ergebnis blieb das gleiche. Es brach in diesem Augenblick keine Welt für sie zusammen, aber sie spürte, wie ihre Knie anfingen zu zittern, obwohl sie saß, und sie betrachtete im Spiegel ihr Gesicht, das unter der Schminke bleich geworden war.
Auch Sams Gesicht war in der Fläche zu erkennen. Auf seinen Lippen lag ein ähnlich wissendes Grinsen wie um den Mund der Puppe herum. Er hätte da ihr Vater sein können.
Die Bauchrednerin wollte es noch immer nicht glauben. Zu groß war ihre Enttäuschung geworden.
Sie brannte in ihrem Körper, sie nahm ihr ein Stück der Seele weg, und sehr langsam drehte sie den Kopf, als wollte sie schauen, ob sich das Gesicht im Spiegel von dem echten des Mannes unterschied.
Nein, das Grinsen klebte auf seinen Lippen.
Leona umfaßte ihre Knie. Sie gab sich selbst Halt. Die Oberschenkel waren angespannt. Sie wünschte sich, wegfliegen zu können oder einfach in ein tiefes Loch zu versinken. Der Mund war trocken geworden. Wenn sie atmete, dann allein durch die Nase, und als jemand mit quäkender Stimme lachte, da wußte sie, daß es die Puppe war, die zugleich anfing zu sprechen.
»Grüß dich, Sam.«
»Hi, Ivy!«
Leona stöhnte auf. Bisher hatte sie unbeweglich auf ihrem Stuhl gehockt, diese Starre war nun vorbei. Sie stöhnte auf, und sie merkte, daß sie nach vorn fiel. Die Ellenbogen stützte sie auf den Garderobentisch, das Gesicht vergrub sie in beide Hände, und sie sprach flüsternde Worte gegen die Flächen.
Sam Gorman ließ sie in Ruhe. Er streichelte das
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