0838 - Wo die Angst zu Hause ist
unten, denn unter der Türritze floß ein gelber Streifen hindurch, der sich vor der Tür noch verteilte.
»Komm raus!« röhrte Rabanew.
Am Fuße der Treppe wartete er. Geduckt stand er da. Hin und wieder den Schürhaken auf seine linke Handfläche schlagend.
Noch tat sich nichts.
Rabanew ärgerte sich. »Komm endlich, Elohim! Ich warte auf dich, verdammt!«
Der Junge bewegte sich. Obwohl Rabanew nicht im Raum neben ihm stand, war es gut zu erkennen, denn auch der durch die Türritze fallende Lichtschein war in Bewegung geraten.
Er kam tatsächlich.
Rabanew grinste.
Das Tier in ihm verstärkte sich noch. Eine unwahrscheinliche Gier nach Vernichtung hatte ihn überfallen. Er konnte es nicht erwarten, den Jungen zu töten.
Die Tür bewegte sich.
Vorsichtig wurde sie aufgezogen.
Ein breiter Schein suchte sich seinen Weg nach draußen. Ein Schatten erschien darin. Der Lichtschein fing an zu tanzen, weil Elohim die Lampe bewegte.
»Komm her, mein Junge…«
Rabanew hörte die ersten Schritte. Sie waren nicht einmal zögerlich gesetzt, sie klangen sehr sicher, und als er kicherte, hörte es sich böse an.
Elohim kam.
Schritt für Schritt.
Am Ende der Treppe blieb er stehen. Nur undeutlich sah der Bärtige die Gestalt, aber sie schälte sich dann besser hervor, denn Elohim bewegte seine in der rechten Hand haltende Laterne vor und zurück. Der Lichtschein geriet auf eine gespenstische Wanderschaft. Bei jeder Vorwärtsbewegung floß er über die Stufen hinweg, holte sie für einen Moment aus der stockigen Finsternis hervor, schwang wieder zurück, und wenig später begann das gleiche Spiel von vorn.
»Soll ich dich holen, Junge?«
»Nein, ich komme!«
Rabanew lachte leise. Er ließ den Schürhaken wieder auf seine Handfläche klatschen. »Ja, komm her. Komm her, mein Lieber…«
Und Elohim gehorchte. Er stieg die Treppe hinunter und damit dem häßlichen Klatschen entgegen…
***
Manchmal kommt mir die moderne Zeit wie ein kleines Wunder vor. Heute hier, am anderen Tag dort oder noch am selben Tag an einem weit entfernten Ort.
Wir hatten alles hinter uns gebracht. Den Flug nach Berlin, die Übernachtung dort, dann waren wir mit dem Leihwagen nach Frankfurt an der Oder gefahren, hatten den Wagen dort abgegeben, und zum erstenmal hatten wir den Grenzfluß zwischen Polen und Deutschland zu Gesicht bekommen, der die Stadt Frankfurt in zwei Hälften teilte, in eine deutsche und in eine polnische. Auf der anderen Seite des Flusses hieß die Stadt Slubice. Wir hätten über eine der Brücken gehen können, aber dort wollten wir zu Fuß nicht hin.
Wir hatten nur einen Blick über den grauen Fluß geworfen und sahen Slubice grau und trist dort liegen. Ob die Stadt tatsächlich so grau war, konnten wir beide nicht beurteilen. Jedenfalls herrschte auf der Brücke ein reger Verkehr. Viele Deutsche gingen nach drüben, um sich dort mit irgendwelchen Dingen einzudecken, die in Polen billiger waren als in Deutschland.
Jane hatte einige Male den Kopf geschüttelt. »Weißt du, wie mir das alles vorkommt, John?«
»Nein.«
»Beinahe wie das Ende der Welt.«
Ich mußte lachen. »Warum so pessimistisch?«
»Das mag am Wetter liegen.«
Sie hatte recht, der Winter verwöhnte uns nicht. Es war kalt. Ein Tag, dem der Hochnebel seinen Stempel aufgedrückt hatte. Den Sonnenschein ließ er überhaupt nicht durch.
In der vergangenen Nacht hatte es gefroren. Die Temperaturen hatten sich der zweistelligen Minusgrenze genähert, waren nun wieder gestiegen, doch nicht über den Gefrierpunkt.
Jane war froh, sich warm angezogen zu haben. Sie trug eine hellblaue wattierte Jacke, die zudem noch mit einem Kragen aus künstlichem Fell besetzt war.
Mein Zug fuhr erst am Nachmittag, so hatten wir Zeit, uns noch ein wenig umzuschauen. Rechtzeitig genug waren wir dann zum Bahnhof zurückgekehrt, einem alten Gebäude, das renoviert werden mußte.
Aus einem Schließfach hatten wir unsere beiden Koffer geholt und wir hatten uns dann auf eine der harten Wartebänke gesetzt, die für uns sehr günstig standen, denn von dort konnten wir die Halle unter Kontrolle halten.
Jane hatte von mir die Beschreibung des Henry O. Sellnick bekommen. Sie hielt die Augen ebenso offen wie ich.
Die Chance, daß sich Sellnick in der Halle zeigte, war zwar klein, wir wollten jedoch keine Möglichkeit außer acht lassen. Viel wahrscheinlicher war die Chance, daß er den Zug schon in Berlin bestiegen hatte und sich nun in einer gewissen Sicherheit
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