0838 - Wo die Angst zu Hause ist
fühlte.
Sollte er.
Etwa eine Viertelstunde vor Ankunft des Zuges Berlin-Warschau verließen wir unsere Plätze und betraten den Bahnsteig.
Keiner der Reisenden, die dort bereits auf den Zug warteten, flößte uns einen besonderen Verdacht ein. Ob Mann oder Frau, sie alle sahen normal aus, und es waren mehr Deutsche als Polen, die auf den Zug warteten. Wir würden in die Dunkelheit hineinfahren. Offiziell würde der Zug etwa eineinhalb Stunden vor Mitternacht in Warschau eintreffen. Eine lange Zeit, in der viel geschehen konnte.
Er rollte in den Bahnhof.
Als wir das sahen, traten wir sicherheitshalber einen Schritt zurück und blieben in der Masse in Deckung. Es gab Reisende, die gern aus den Fenstern schauten, wenn ein Zug im Bahnhof hielt, und ich wollte vor allen Dingen nicht sofort entdeckt werden.
Auch die Männer vom Zoll stiegen hier ein. Unsere Pässe hielten wir bereit, zudem hatten wir Tickets der ersten Klasse gelöst, denn wahrscheinlich würde auch Sellnick sich dort aufhalten.
Eine gigantische Masse aus Stahl kroch an uns vorbei. Die Wagen schimmerten feucht. Der Zug schien erst mal auszuatmen. Ein faszinierendes Schauspiel.
Ich schaute auf die Fenster.
Hinter ihnen schimmerte Licht.
Gesichter huschten trotz der langsamen Fahrt an meinen Augen vorbei. Henry O. Sellnick jedenfalls kriegte ich nicht zu Gesicht. Dafür hatte ich zwei Gepäckwagen hinter der E-Lok gesehen und ging davon aus, daß in einem von ihnen der Sarg stand.
Der Zug stoppte.
Dampf entwich zischend aus irgendwelchen Ventilen. Mir kam es vor, als würde sich ein Ungeheuer schütteln. Plötzlich herrschte eine gewisse Hektik, die von der kalten Stimme des Ansagers übertönt wurde. Er gab bekannt, welche Stationen der Zug anfahren würde.
Zweimal hielt der Zug zwischen Frankfurt und Warschau, in Rzepin und in Poznan.
Menschen stiegen aus, andere wollten hinein. Auch Jane hatte bereits ihren Koffer angehoben, als sie von mir festgehalten wurde.
»Moment mal.«
»Was ist denn? Hast du ihn gesehen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nicht Sellnick, aber eine andere Größe aus seinem Laden. Für mich war er so etwas wie ein Leibwächter.«
»Wo ist er denn?«
»Vorn, der erste Wagen der ersten Klasse. Da ist er gerade ausgestiegen.«
»Du meinst den Blonden im schwarzen Mantel?«
»Genau den.«
Wir warteten noch, denn der Typ schien nach jemandem Ausschau zu halten. Seine Blicke streiften über den Bahnsteig, bis er plötzlich seinen Körper drehte und wieder in den Zug hineinschaute, aus dem soeben ein zweiter Mann ausstieg, der eine Lederjacke trug und ebenso kurzgeschnittene Haare hatte wie der Blonde. Nur waren seine dunkler. Die beiden Männer unterhielten sich, und wir konnten aus ihrer Gestik entnehmen, daß es keinen Anlaß für sie gab, um mißtrauisch zu werden. Sie lachten sogar, schauten anderen Reisenden hinterher und stiegen schließlich wieder ein.
Für uns wurde es Zeit.
»Los, Jane!«
In genau zwei Minuten würde sich der Zug in Bewegung setzen. Da wollten wir die Plätze eingenommen haben. Zusammen mit zwei Zollbeamten betraten wir den Zug. Ich sprach die Männer an und bat sie, uns jetzt schon zu kontrollieren.
Sie schüttelten nur die Köpfe und forderten uns auf, zu unserem Abteil zu gehen, in dem kein anderer Reisender saß, aber zuvor gesessen hatte, denn in der Luft lag noch der Geruch eines süßlichen Parfüms.
»Hoffentlich bleibt das so«, sagte Jane.
»Was?«
Sie deutete in die Runde. »Diese Freiheit hier.«
»Das wäre zu wünschen.«
Wir hatten die Koffer gerade verstaut und die Jacken aufgehängt, als sich der Zug in Bewegung setzte, und zwar pünktlich. Wir ließen uns in die Sitze fallen. Ich schaute Jane ins Gesicht, sie mir, dann nickte sie. »Okay, Geisterjäger, wünschen wir uns eine gute Fahrt.«
»Das meine ich auch.«
Die Detektivin streckte die Beine aus. »Hast du eigentlich mitbekommen, in welchen Wagen unsere beiden Freunde gestiegen sind?«
»In den ersten. Dann werden sie dort auch sitzen.«
»Und wir sind im dritten.«
»Sicher.«
»Ich könnte ja mal nachschauen.«
Das mußte Jane verschieben, denn die Zöllner wollten jetzt unsere Pässe sehen. Sie bekamen sie gereicht, und die beiden Männer schauten sich die Papiere sehr genau an. Mit einem Nicken erhielten wir sie zurück.
Es war zu hören, daß wir über die Oderbrücke rollten. Ich schaute auf das silbrig schimmernde Wasser, auf dem die Wellen tanzten, als wollten sie Fangen spielen.
Schiffe
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