0839 - Ruhe sanft und komm nie wieder
bieten, aber wir würden ihn schon noch durchsuchen.
»Wohin?«
Ich deutete nach vorn. Zuerst einmal in unser Abteil. Dort sehen wir weiter.
Natürlich hielten wir auf dem Weg zum Ziel die Augen offen. Weder Sellnick noch dieser Alvin taten uns den Gefallen, sich zu zeigen. Wir sahen nur die normalen Passagiere.
Unser Abteil war leer.
Als wir es betreten hatten, ließen wir uns beide aufatmend in die Sitze fallen. Ich schloß zuvor noch das Fenster.
»Hast du es geöffnet?« fragte Jane.
»Nein.«
»Wer dann?«
Ich hob die Schultern. »Da muß jemand anderer hier im Abteil gewesen sein.«
Jane blickte mich starr an, ich sah allerdings auch, wie sich ihr Blick verlor, so, als würde sie über etwas nachdenken, wobei ihr soeben die Lösung eingefallen war. »Könnte es nicht sein, daß dein Freund auf diesem ungewöhnlichen Weg das Abteil verlassen hat?«
Ich lächelte schief. »Ich glaube, du kannst Gedanken lesen.«
»Also siehst du es auch so?«
»Ja.«
Jane streckte die Beine aus und stieß mit den Schuhspitzen gegen meine Waden. »Der Aufenthalt ist ja nicht geplant gewesen, ich habe ihn zu verantworten.«
»Sag das nur nicht so laut.«
»Es hört ja keiner zu.« Sie sprach weiter. »Damit hat also keiner rechnen können, denke ich. Und weil dem so war, haben wir gewisse Dinge durcheinandergebracht, denke ich mir.«
»Möglich.«
»Nicht nur möglich, es stimmt. Zumindest ist Sellnicks Zeitfaktor aus der Reihe gekommen.«
»Stimmt.«
»Er wird reagieren müssen.« Jane verengte ihre Augen. »Stellt sich die Frage, was er macht. Wird er seinen Plan ändern?«
»Welchen Plan?«
»Ich bitte dich, John, das muß ich dir doch nicht erzählen. Sie sind gefahren, um einen Toten zu begraben, wobei ich darüber nachdenke, wie das geschehen soll?«
»Sie lassen ihn in die Erde.«
»Ja, schön, wunderbar, aber wo? Hier? Auf freiem Feld, in der Prärie? Nein, mein Lieber, so haben wir nicht gewettet.«
»Wie denn?«
Die Detektivin beugte sich vor. »Soll ich dir sagen, was ich denke, John Sinclair?«
»Gern, Miß Collins!«
Sie hob einen Zeigefinger. »Ich denke, daß die beiden nicht bis Warschau durchfahren werden.«
»Tatsächlich?«
Sie schlug mir auf das rechte Knie. »Hör mit dem Spott auf. Ich könnte mir durchaus vorstellen, daß dieser Zug noch einmal hält.«
»Der nächste Halt ist Warschau. Endstation.«
Sie winkte ab. »Unsinn, in diesem Land ist alles möglich. Besonders für einen Mann wie Sellnick, der mit dicken Devisen winkt. Ich sage dir, John, der hat noch einen dicken Trumpf in der Hinterhand, darauf kannst du dich verlassen.«
Ich hob die Schultern. »Okay, soll er. Uns jedenfalls bringt es nicht weiter. Wir müssen herausfinden, wo er sich aufhält. Alles andere kannst du vergessen.«
»Stimmt.«
Unser Gespräch versickerte. Wir schauten aus dem Fenster.
Jane erkannte, daß ich nicht eben glücklich aussah. »Du mußt dich damit abfinden, daß wir in der Defensive stehen. Meine Notbremsung hat uns unter Umständen nur das Leben gerettet, das ist alles.«
»Wenn du es so siehst, dann reicht es auch.«
Durch ihr Lächeln und die anschließenden Worte wollte sie mich aufmuntern. »Wir sind nicht außen vor, John, das kann ich dir sagen. Du weißt sehr genau, daß der Fall weitergehen muß. Ich glaube nicht, daß ein Mensch wie Sellnick von seinen Plänen Abstand nimmt. Das kannst du mir nicht erzählen.«
»In Warschau?«
»Vergiß die Stadt.«
Ich hob die Schultern. Irgendwie kam ich mit diesem Fall nicht zurecht. Ich wollte einfach nicht akzeptieren, daß wir bis Warschau durchfuhren, der Sarg mit der Leiche dort ausgeladen wurde, um sie auf eine besondere Weise zu bestatten.
Nein, da lief etwas anderes.
Durch den Zug fuhr ein Ruck.
Nicht sehr stark, aber doch zu merken. Und ein zweiter Stoß folgte dem ersten.
Ich fing einen überraschten Blick der Detektivin auf, dann sah ich ihr Lächeln.
»Es wird genau geschehen, John, was ich angenommen habe. Darauf kannst du dich verlassen.«
Nach dem vierten leichten Stoß glaubte ich auch daran, denn unser Zug fuhr langsamer.
Ich stand auf und öffnete das Fenster. In Fahrtrichtung schaute ich hinaus.
Nicht einmal sehr weit entfernt blinkten einige Lichter wie fremde Sterne durch die Nacht. Sie bewegten sich nicht, standen oder schwebten in der Luft und wurden zum Teil von dünnen Dunstschwaden umweht. Wie dieser Ort hieß, wußte ich nicht. Normalerweise wäre der Zug auch durchgefahren, aber bei diesem Tempo
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