0840 - Das Drachenmädchen
unter den beiden Erdstößen nicht verändert worden.
Suko ging zurück. Sein Gesicht zeigte Schmerz, weil er immer an Shao denken mußte. Aber er hatte sich vorgenommen, hier in dieser Etage zu bleiben und nicht nach unten zu laufen, auch wenn nach dem dritten oder vierten Erdstoß alles zusammenbrach. Dann hatte es eben das Schicksal so vorherbestimmt, daß er hier in Hongkong sterben sollte und…
Der nächste Stoß!
Obwohl Suko sich innerlich auf ihn vorbereitet hatte, konnte er sich diesen Kräften nicht widersetzen. Sie spielten mit ihm, und es war wie in einem schnell fahrenden Zug, der durch eine Notbremsung gestoppt wurde. Suko verlor das Gleichgewicht und auch die Übersicht. Er flog und wirbelte durch den Raum und versuchte dabei, immer mit den Füßen Bodenkontakt zu behalten.
Natürlich standen ihm die Möbel im Weg, denn auch sie bewegten sich unter den fremden Kräften.
Sie blieben nicht auf dem Fleck stehen, sie rutschten durch den Raum, knallten gegen die Wand, vor die Suko ebenfalls rücklings gepreßt worden war und wie im Krampf seine Lampe festhielt, deren Strahl allerdings mehr zur Decke wies als zu Boden.
Dennoch sah Suko den kantigen Gegenstand auf sich zugleiten. Es gab auch nichts, was ihn hätte stoppen können. Suko hob im letzten Moment ein Bein, dann stemmte er die Schuhsohle gegen die Kante und drückte den Tisch so weit zurück wie eben möglich.
Das Beben war vorbei.
Kein vierter Stoß folgte.
Suko holte wieder Luft.
Der Lichtfinger irrte durch die Finsternis, als er die rechte Hand bewegte. Noch immer stank es nach diesem würzigen Rauch aus den Schalen, aber nicht nur sie brachten den Dampf, denn Suko stellte mit Entsetzen fest, daß der Boden und auch die Wände zackige Risse erhalten hatten, aus denen Rauch strömte.
Kein Schreibtisch stand mehr an seinem Platz. Die fremde Kraft hatte sie regelrecht durcheinandergewirbelt. Ein gut befestigter Rechner war ebenfalls zu Boden gefallen. Seine Kunststoffverkleidung war zum Teil zersplittert. Suko sah dieses Bild als Symbol für den Sieg der Magie über die Technik an.
Er dachte an den nächsten Stoß. Wenn er mit gleicher Vehemenz erfolgte, würden Wände und Decken über ihm zusammenbrechen.
Von Shao sah und hörte er nicht…
***
Eine neue Welt, eine andere Dimension, ein fremdes Tor hatte sich hinter dieser Dimension geöffnet, als wollte es Shao eine Botschaft schicken und ihr damit zeigen, daß noch mit ihr zu rechnen war.
Sie hatte die Kralle vergessen. Sie wußte noch nicht, wieviel Zeit verflossen war, aber es durchströmte sie plötzlich ein warmes Gefühl, das sie als Glück und Hoffnung ansah.
Zwei Augen…
Große Augen, fast vergleichbar mit strahlenden Sonnen, die das Licht brachten.
Licht bedeutete Leben.
Amaterasu!
Plötzlich wußte Shao Bescheid, und der Funke Hoffnung wuchs zu einer kleinen Flamme.
Sie lächelte.
Das war genau der Augenblick, in dem das Drachenmädchen hatte zustoßen wollen. Die Kralle zielte bereits auf die Stelle der Brust, in der das Herz schlug, aber das plötzliche und für sie grundlose Lächeln des Opfers lenkte sie ab.
Sie hielt inne.
Zuerst erschien die Frage in ihren jetzt gelblich schimmernden Augen. Dann sprach sie die Worte aus. »Du… du… lächelst? Sekunden vor deinem Tod lächelst du?«
»Ja.«
»Warum?« schrie sie.
»Weil ich nicht sterben werde. Ich weiß es. Es verleiht mir Hoffnung.«
Aus dem Mund quoll wieder Rauch. »Wer gibt dir Hoffnung? Wer ist angeblich so ehrlich?«
»Meine Beschützerin.«
Das Drachenmädchen lachte. Noch immer schwebte die Klaue gefährlich nahe über Shaos linker Brustseite. »Du sprichst doch nicht etwa von der Sonnengöttin?«
»Doch - sie ist es!«
Die sich noch mehr verändernde Li Warren wußte nicht, ob sie lachen oder weinen sollte.
»Amaterasu kann dir nicht helfen. Sie ist… sie ist… nicht hier.«
»Doch! Dreh dich um!«
»Ich glaube es nicht!« knurrte Li.
»Dann dreh dich um!«
Li Warren zögerte. In ihrem Gesicht verschwand der menschliche Ausdruck immer mehr. Der Schuppenpanzer auf ihrer Haut nahm an Dicke zu, und Shao, die an Li Warren vorbeischaute, entdeckte etwas, das ihr noch einmal große Hoffnung gab.
Li Warren tat es. Sie wollte auf Nummer Sicher gehen. Dabei drehte sie ihren Körper nach rechts, ohne Shaos Leib zu verlassen, aber ihre Haltung war instabiler geworden.
Das nutzte Shao aus.
Sie hatte die Hände zusammengelegt und rammte sie einen Augenblick später in die Höhe. Wie ein
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