0840 - Das Drachenmädchen
Muskeln aufreißen, sie würde nach dem Herz greifen und es hervorziehen.
Sie würde…
Sie stieß zu!
Li Warren hatte es sich zu leicht gemacht und nicht mit Shaos Reaktion gerechnet. Blitzartig drehte sie sich zur Seite, machte sich dabei noch schmal, indem sie den Rücken regelrecht einzog, und sie schaute zu, wie die Kralle an ihr vorbeistreifte.
Aus der Drehung aber schlug Shao zu. Sukos Schule machte sich bemerkbar, denn der halbhoch geführte Karateschlag mit der leicht gekrümmten Handkante erwischte Li Warren zwischen Kinn und Schulter.
Der Treffer wuchtete sie erst zu Boden, dann überrollte sie sich und wollte wieder hochkommen.
Shao war schon da.
Diesmal erwischte Li der Tritt.
Sie ächzte, ihr Kopf wurde in den Nacken gerissen, und Shao setzte sofort nach.
Doch auch sie hatte Li Warren unterschätzt. So schnell wie möglich jagten deren Hände in die Höhe. Plötzlich umschlossen zwei Klauen Shaos Beine und rissen sie um.
Sie fiel, konnte sich aber glücklicherweise abstützen und wieder herumwerfen.
Sie wollte sehen, was geschah - und es war möglicherweise ein Fehler, Li Warren sprang auf sie zu, und sie sprang Shao an. Plötzlich landete sie auf ihrer Brust, die Spitzen der Knie glichen stumpfen Messern, die hart gegen den Körper drückten.
Shao lag auf dem Rücken. Über und auf ihr hockte das Drachenmädchen. Sein Gesicht hatte sich verändert. Die Haut war plötzlich anders geworden. Sie flimmerte und blinkte, als wäre sie mit zahlreichen Plättchen besetzt.
Als Li Warren den Mund aufriß, drang gelblicher Brodem zwischen ihren Zähnen hervor.
Der Drache steckte in ihr.
Sie würde sich verwandeln, sie würde…
Li hob die Hand.
Zugleich geschah etwas hinter ihr, das Shao mit dem ersten Blick nur am Rande wahrnahm.
Sie war jedoch so davon angetan, daß sie noch einmal hinschaute und kaum fassen konnte, was sich dort zeigte.
***
Wieder erwischte ein Stoß das Haus und setzte sich fort bis in die oberen Etagen, so daß auch Suko die Vibration des Bodens spürte. Sie war stärker geworden als beim ersten Mal, und Suko kam sich vor, als hätte eine Riesenhand das Büro von außen her umklammert, um es mit seinem Inhalt durchzuschütteln.
Er hatte Mühe, auf den Beinen zu bleiben und klammerte sich an einem Schreibtisch fest.
Das Beben ebbte schnell ab. Die nachfolgende Stille gab dem Inspektor Gelegenheit, Luft zu holen und sich auch umzuschauen. Er schaltete seine Leuchte an.
Die vier Schalen hatten sich nicht mehr auf ihren Plätzen halten können. Sie waren von der Platte gerutscht, zu Boden gekippt, wo sich ihr Inhalt verteilte. Es war zu einer dampfenden und zischenden Masse geworden, deren Hitze damit begann, den Teppich anzukohlen. Ob er brennen würde oder gegen Feuer gefeit war, wußte Suko nicht. Er wollte kein Risiko eingehen, lief hin und trampelte auf der Masse herum, um sie vielleicht löschen zu können. Es gelang ihm nicht ganz, zudem war es für ihn auch zweitrangig geworden. Er richtete den Strahl der Lampe dorthin, wo sich der Durchgang in die Geisterwelt befand, ohne dort allerdings etwas sehen zu können.
Die Wand war und blieb geschlossen.
Kein Flimmern zeigte sich. Es hatte sich auch kein Tor geöffnet. Nichts wies daraufhin, daß diese Öffnung tatsächlich einmal vorhanden gewesen war.
Suko schüttelte den Kopf. Es war mehr eine Geste der Verzweiflung als eine der Verneinung. Seine Gedanken drehten sich ohne Unterlaß um Shao und deren Verschwinden.
Sie war von der anderen Dimension verschluckt worden und erhielt nicht die Chance einer Rückkehr. Suko wußte zudem keine Möglichkeit, dies zu ändern, denn ihm war der Weg in die andere Welt verschlossen. Er verfügte nicht über die Fähigkeiten einer Madame Chu, um das Tor erscheinen zu lassen. Er war, und das stand fest, hilflos!
Suko wollte es nicht akzeptieren, nicht glauben. Bisher hatte er immer wieder eine Chance gefunden, sich aus bestimmten Lagen zu befreien, nur in diesem verdammten Büro im zwanzigsten Stockwerk eines Hochhauses war er eingeschlossen.
Und Shao?
Beide hatten sie geglaubt, daß sie ein normales Leben führen konnten, wie früher. Sie hatten wirklich die schlimmsten Dinge überstanden und hatten dabei den Tod überlistet. Diesmal sah der Inspektor so gut wie keine Chance, das machte ihn rasend.
Er ging auf die Wand zu.
Er schlug dagegen und lauschte den Echos der Schläge. Ein hartes Material, das nicht die Spur eines Risses oder einer Aufweichung zeigte. Es war auch
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