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0840 - Siegel der Rache

0840 - Siegel der Rache

Titel: 0840 - Siegel der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Krämer
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ausgestoßen hatte. Mit langen Sprüngen hetzte der Flüchtende, der sicher am Boden angekommen war, die Zufahrt hinunter. Im nächsten Moment war er zwischen den Bäumen verschwunden, und Zamorra hörte nur noch den Anlasser eines Fahrzeuges und die typischen Geräusche von durchdrehenden Reifen.
    Dann war der ganze Spuk vorbei.
    Der Parapsychologe wandte sich langsam vom Fenster ab. Seine Blicke schweiften durch den Raum, der nach wie vor voll Rauch war. Sie hatten versucht, den Safe zu sprengen, was erwartungsgemäß nicht gelungen war. Was sonst fehlte, konnte er auf den ersten Blick nicht abschätzen.
    Es gab da nur eine einzige Ausnahme. Zamorra holte tief Luft, denn ihm wurde schwarz vor Augen.
    Das Buch… das Siegelbuch…
    Sie hatten das Buch gestohlen!
    ***
    Lille, Brest, Douai… nur drei Städte, deren Gefängnisse Eugène lächerlich machte, in dem er dort beinahe nach Belieben ein und aus ging.
    Kaufmann, Soldat und Offizier, Freibeuter, ja, selbst Lehrer - er versuchte sich wahrlich auf vielen Gebieten. Doch ein Offizier, der niemals ein Patent erworben hatte, ein Lehrer, der mit Vorliebe älteren Schülerinnen Privatstunden gab, das alles ließ ihn immer wieder scheitern. Und es brachte ihn immer weiter in den Sumpf hinein, der hinter dicken Mauern und Gitterstäben enden musste.
    Der Vater war in der Zwischenzeit gestorben, und als Eugène wieder einmal aus einem Gefängnis floh, schlüpfte er bei seiner Mutter unter. Doch auch hier holte ihn seine Vergangenheit ein, und er musste erneut die Flucht ergreifen.
    Mittlerweile war er zu einer Berühmtheit geworden. Doch auf die zweifelhafte Ehre, als Ausbrecherkönig gefeiert zu werden, der die Obrigkeit in tausend Verkleidungen narrte, hätte er auch gerne verzichtet.
    Irgendwann jedoch kam er Tag, an dem er sich eingestehen musste, dass er nun zu wählen hatte.
    Schwarz oder weiß - links oder rechts. Die Schattierungen, die es zweifelsfrei gab, konnten für ihn nicht länger gelten. Die Entscheidung musste getroffen werden…
    »…hören Sie mir überhaupt zu? Hallo?«
    Sie hasste es, wenn man ihre Ruhe störte. Es kam ja nicht oft vor, aber manche Belästigungen ließen sich anscheinend nicht vermeiden. Es fiel ihr schwer, aus ihren Tagträumen in die Realität zu schlüpfen. Wo war ihr wirkliches Leben? In der Welt des Eugène? Oder hier, wo sie halb nackt auf einer Pritsche lag und fror?
    Eugène hatte wieder einmal so farbig erzählt, dass sie alles um sich herum einfach abgeschaltet hatte. So, und nur so, konnte sie gewisse Dinge überhaupt noch ertragen.
    »Ich höre Sie, ja. Aber bitte, könnten Sie ein wenig leiser sprechen? Ich ertrage laute Geräusche nur noch schwer.«
    Der Mann nickte. »Ich weiß. Entschuldigen Sie, ich werde mich ab jetzt bemühen. Aber Sie müssen mir nicht nur zuhören, sondern sich meine Worte auch zu Herzen nehmen. Sie müssen mehr essen. Wenn das mit Ihrem Gewichtsverlust so fortschreitet, werden wir Sie künstlich ernähren müssen.«
    »Und wenn ich es genau so will, wie es jetzt ist? Habe ich darauf denn kein Recht?«
    »Ich bin Arzt. Von meinem Standpunkt aus würde ich Ihnen jedes Recht zugestehen, über sich selbst zu entscheiden. Ich habe einen Eid geleistet, doch das bedeutet für mich nicht, dass ich gegen den Willen meiner Patienten handeln will. Aber Sie wissen, dass ich hier nicht zu entscheiden habe.«
    Der Mann drückte die Bügel seiner altmodischen Arzttasche mit einem Ruck zusammen; solche Lederkoffer sah man allgemein höchstens noch in alten Western. Doch das Teil passte zu Doktor Roi, der wie sein Koffer aus einer längst vergangenen Zeit zu stammen schien.
    »Veronique, wie viele Jahre kennen wir uns nun schon?« Immer, wenn Doktor Roi ihr ins Gewissen reden wollte, begann er seinen Vortrag mit dieser Frage. Er erhielt nie eine Antwort - beide wussten nur zu genau, wie lange sie einander kannten. Roi ließ dann stets den zweiten Satz folgen, der auch heute nicht fehlen durfte.
    »Wir haben bessere Zeiten miteinander erlebt, nicht wahr?« Erst dann kam er stets zum Punkt. »Ich muss erst überhaupt nicht damit beginnen, Ihnen beizubringen, wie es um Ihre Gesundheit steht. Das wissen Sie wahrscheinlich besser als ich. Warum wollen Sie den Verfall beschleunigen, Veronique? Gibt es denn nichts mehr, was Sie am Leben reizt?«
    Ja, unbewusst hatte er die entscheidende Frage gestellt. Doch Sie war nicht gewillt, ihm eine Antwort darauf zu geben. Am Leben? Nein, am Fakt des Lebens war nichts mehr,

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