0841 - Erst lieb ich dich, dann beiß ich dich!
durch- und miteinander, aber Cynthias Stimme war schon zu hören. Sie übertönte alle anderen, denn sie sprach laut und überdreht, als würde ihr hier alles gehören. Irgendwo war sie auch die Königin, und wahrscheinlich erlebte sie schon eine große Vorfreude auf das wahre Blutfest.
Ich pirschte mich an die Gruppe heran und blieb unterwegs stehen. Ich unterschied mich in nichts von den anderen Gästen, mittlerweile hatte ich mir ein Glas mit Weißwein vom Tablett genommen, nippte hin und wieder daran und schaute zu diesem runden Tisch hin, der noch Besuch bekommen hatte. Die ihr zuhörenden Gäste saßen nicht nur, sie standen auch. Cynthia redete nicht nur mit dem Mund, auch mit Händen und Füßen, wobei sie des öfteren zu ihren Bildern hindeutete, auch mal aufsprang, sich dann wieder setzte und dabei wie zufällig entweder Juan Sanchez oder Bill Conolly berührte, was den beiden keineswegs unangenehm war.
Mich hatten sie noch nicht entdeckt. Ich schob mich langsam näher, aber so, daß immer Gäste zwischen mir und dem Tisch hergingen. So war ich einigermaßen gedeckt.
Angesprochen wurde ich nicht. Die meisten kannten sich, ich gehörte nicht zur Szene und war deshalb kaum gefragt.
Einige Künstler befanden sich unter den Gästen. Sie fielen wegen ihrer extravaganten Kleidung auf.
Ein Mann mit langen, weißblond gefärbten Haaren hatte wohl seine Muse mitgebracht, ein grellgeschminktes Weib mit poppigen Leggings und Federn im Haar. Beide entwickelten einen ungeheuren Appetit und schaufelten hinein, was der Magen aufnahm.
Ich näherte mich dem Tisch.
Andere Gäste standen hinter den Stühlen. Die besten Plätze hatten die Malerin und die beiden neben ihr sitzenden Männer eingenommen, denn sie saßen an der Wand.
Ich beobachtete Bill.
Sein Gesicht war gerötet. Er hatte auch getrunken. Er lachte, er hatte seinen Spaß, und als ich mir Juan Sanchez anschaute, da erkannte ich schon, daß er Mühe hatte, überhaupt wach zu bleiben. Hin und wieder stützte er sich bei seiner schönen Nachbarin ab oder flüsterte ihr etwas ins Ohr.
Ich sah auch das Pflaster an seinem Hals und machte mir meine Gedanken über das, was mir Maria berichtet hatte. War der Gastgeber tatsächlich gebissen worden? Wenn ja, dann mußte Cynthia in der Nacht das Schlafzimmer der beiden betreten haben. Nur war Maria gerade noch rechtzeitig genug wach geworden.
Plötzlich bewegte sich mein Freund Bill nicht mehr. Er hatte mich gesehen. Ich hob mein Glas und nickte ihm lächelnd zu.
»Hi, John«, rief er und winkte mit einer Hand. »Komm zu uns, ich möchte dir den Star des Abends vorstellen, um den sich letztendlich alles dreht.«
Er hatte so laut gesprochen, daß andere Gäste aufmerksam geworden waren, und einige Augen richteten sich auf mich. Zudem versickerten in meiner Nähe die Gespräche.
Ich stand in einem Loch, auf einer Insel, ich fühlte mich unwohl, aber ich machte gute Miene zum unangenehmen Spiel und trat lächelnd an den Tisch heran.
Selbst Cynthia bewegte sich nicht. Sie saß starr wie ein Schulmädchen, den Blick auf mich gerichtet, die Lippen zu einem verkrampft wirkenden Lächeln verzogen.
Neben ihr stierte Juan Sanchez auf den Tisch. Er war wohl nicht betrunken, nur müde, deshalb hatte er auch Bill Conolly die Vorstellung überlassen.
»Cynthia, das ist John Sinclair. Er ist ein guter Freund von mir. Ich habe ihn heute abend mitgebracht.«
»Du?« Sie hatte nur dieses eine Wort gesprochen, und es hatte wie ein Knurren geklungen.
»Ja…« Er räusperte sich. »Warum?«
»Schon gut«, sagte sie und lächelte mich an, ohne ihre Zähne zu zeigen. Die Augen lebten nicht, sie waren tot, leer, aber sie spielte ihren Part hervorragend. »Ich denke, wir haben uns schon gesehen, Mr. Sinclair, oder sollte ich mich irren?«
»Nein, Sie irren sich nicht.«
»Und Ihnen geht es gut?«
»Wie Sie sehen.«
»Ja, in der Tat.« Sie streifte mich mit ihrem Blick, und ich glaubte auch, Verwunderung in den Augen zu lesen.
Ich trieb das Spiel weiter. »Weshalb sollte es mir nicht gutgehen?«
»Nur so.«
»Aha.«
Jetzt lachte sie wieder und griff zu ihrem Glas, in dem sich Rotwein befand. »Trinken wir auf Spanien, trinken wir auf die Zukunft, trinken wir auf die Männer und Frauen, trinken wir auf die netten Menschen, die extra wegen mir gekommen sind, und trinken wir auf diesen herrlichen Abend.«
Es gab keinen Gast, der ihre Stimme nicht gehört hätte, aber nicht alle hoben ihre Gläser. Zumindest Maria Sanchez und
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